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Position des SDS zu 1968: Der Kampf um Demokratie, Freiheit und Sozialismus geht weiter

1968 steht für den notwendigen linken Aufbruch einer ganzen Generation. Die Gesellschaften Ende der 60er waren völlig verkrustet. Der Westen führte zahllose Kriege um die Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt zu bekämpfen. In Westdeutschland saßen Nazis unwidersprochen in führenden Positionen. Die jahrelange Regierung der Konservativen hatte das Land in eine kleinbürgerliche Enge geführt: Männer konnten ihren Frauen die (Lohn-)Arbeit und ein eigenes Konto verbieten. Alle gesellschaftlichen Bereiche wurden straff und hierarchisch geführt – von der Hochschule bis in die Betriebe. Statt sch dieser Missstände zu widmen, plante die damalige große Koalition eine Notstandsgesetzgebung, die der Regierung in Krisenzeiten teils diktatorische Vollmachten einräumten.

Dagegen regte sich Protest von unerwarteter Seite: Überraschenderweise rebellierten ausgerechnet die Studierenden. Im 20. Jahrhundert waren deutsche Studierende überwiegend durch rechte Umtriebe – ob burschenschaftlich, monarchistisch oder nationalsozialistisch – aufgefallen. Doch Teile der Alten Linken trafen sich mit Teilen der Neuen Linken in einem neuen wichtigen Akteur der Zeit: dem SDS.


Der SDS als linker Kristallisationspunkt an den Unis

Der SDS war 1961 wegen marxistischer Umtriebe, mitsamt einer Reihe linker UnterstützerInnen, aus der SPD ausgeschlossen worden. Dieser kleine SDS bildete eine wichtige Keimzelle der Rebellion von ’68. Durch jahrelange Bildungsarbeit und mühsame Maulwurfsarbeit verankerte sich der SDS Mitte der 60er an vielen deutschen Unis. Durch mutige, clevere und öffentlichkeitswirksame Aktionen erregte der damalige Berliner SDS um Rudi Dutschke riesige mediale Aufmerksamkeit. Immer mehr Studierende politisierten sich. Zu Fachschaftstreffen und studentischen Vollversammlungen kamen tausende von Studierenden. Zu Demonstrationen gegen imperialistische Kriege kamen zehntausende. Der SDS veranstaltete riesige Kongresse, wie den Vietnamkongress und erzeugte damit eine ungeheure Aufmerksamkeit.

Der SDS war aber nicht nur in der medialen Öffentlichkeit präsent. Er bot den Studierenden auch Antworten auf ihre Fragen und Zweifel an der Gesellschaft. Mit der Hochschuldenkschrift besaß der SDS eine Grundlage für die praktische Veränderung der Universitäten. Durch zahlreiche Raubdrucke und einige wenige übrig gebliebene linke Intellektuelle, die den Faschismus überlebt haben, wie Abendroth, Adorno oder Marcuse eignete sich der Verband Wissen um marxistische und kritische Theorie an.

Innerhalb kürzester Zeit wurde der SDS zum Anlaufpunkt fast aller kritischer Studierender. Neben den Fragen der Theorie warfen die Studierenden Fragen danach auf, wie sie leben wollen. Neue Formen des Wohnen und Zusammenlebens entstanden.

Vormals Selbstverständliches stellte diese neue Linke radikal in Frage. Sie befragten nicht nur die Gesellschaft, sondern auch sich selbst: Warum redeten nur Männer auf den Bundeskongressen? Wer kümmerte sich derweil um die Kinder? Wer traf eigentlich die Entscheidungen und warum? Beinahe alle Fragen wurden kontrovers diskutiert. Unterdes wuchsen die lokalen Gruppen immer mehr und mehr zur Bewegung mit hunderten und teilweise tausenden Aktiven. Doch nicht nur die Studierenden protestierten und rebellierten.

International gerieten die Verhältnisse in Bewegung

In Frankreich gingen nicht nur die Studierenden auf die Straße. Weitaus mehr ArbeiterInnen erhoben sich zum Generalstreik. Der französische Präsident de Gaulle floh deshalb nach Deutschland. Der Aufstand der französischen ArbeiterInnen bildete einen Funken. In Italien, Großbritannien und Deutschland entstanden Bewegungen junger ArbeiterInnen und Lehrlinge, die gegen die hierarchischen Zustände in den Betrieben, niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen protestierten.

Die Bewegung von ’68 zeigte sich nicht nur im Westen. Auch in der Tschechoslowakei entzündete sich ein Erneuerungsversuch in der Kommunistischen Partei. Dieser Prager Frühling wirkte auf die Welt zurück. Seine Niederschlagung wurde kontrovers diskutiert und hatte große Auswirkungen auf die Linke in Ost und West.

’68 als Generationenkonflikt, Fanal der Gewalt oder Erneuerung des Kapitalismus?

Heute versuchen prominente Exlinke, Liberale und Konservative ’68 entweder als Generationenkonflikt zu verharmlosen oder als Brutstätte von Gewalt und Totalitarismus zu verunglimpfen. Dabei gerät völlig in Vergessenheit, dass gerade die Konservativen und Liberalen in den 70ern einiges zu verantworten hatten: den Putsch der gewählten Linksregierung in Chile, die Berufsverbote, der Paragraf 129a und die Duldung von Nazis an vielen Schlüsselstellen. Natürlich gab es die RAF und viele Verirrungen auf der Linken, die kritisch analysiert werden müssen. Aber ’68 steht für das Gegenteil von Gewalt, Autoritarismus und Terror.

’68 ist ein Symbol für die Demokratisierung der Gesellschaft, den Kampf um gleiche Rechte für alle und eine Bewegung zur Überwindung der überkommenen kapitalistischen Gesellschaft. Als SDS weisen wir alle Verkürzungen und Geschichtsverdrehungen zurück und versuchen positive Anschlusspunkte von ’68 weiterzuentwickeln – ohne dabei unkritisch zu sein.

’68 steht langfristig auch für eine Teilung der Linken. Die alten sozialen Bewegungen, die Gewerkschaften und Parteien waren für einen Teil der jungen Linken nicht mehr relevant. Sie setzten fortan auf Bürgerinitiativen, NGOs und viele linke Kleinstorganisationen – viele wandten sich ganz von einer Gesellschaftsanalyse und -theorie ab. Diese Zersplitterung der Linken brachte zwar demokratische Impulse, stärkte die Linke als Bewegung für eine bessere Gesellschaft aber nicht.

Auch der Kapitalismus adaptierte viele Kritiken der 68er. Die Arbeit wurde weniger hierarchisch. Die Gesellschaft individualistischer. Neue Formen der Mitbestimmung wurden etabliert. Vieles davon waren wichtige Verbesserungen. Anderes wurde pervertiert. Aus der Kritik an monotoner Arbeit und Hierarchien wurde Flexibilisierung und Selbstausbeutung (im Team). Aus der Kritik an den Ein-Verdiener-Familien wurde vielfach schlecht bezahlte Frauenarbeit. Aus der Kritik an der gesellschaftlichen Enge wurde Egoismus und Konsumismus. Aus der Kritik an mangelnder Mitbestimmung wurden Runde Tische und die Erlaubnis über die Entscheidung wo gespart werden muss. Kurzum: Der Neoliberalismus wäre ohne ’68 kaum denkbar. Das ist keineswegs ein Zeichen der Schwäche – im Gegenteil: Für die Herrschenden konnte es ’68 kein „Weiter so“ geben. Dafür war die linke Bewegung und ihre Forderungen zu stark!

’68 als gesellschaftlicher Aufbruch

Der Aufstand der Studierenden und Lehrlinge leitete ein linkes Jahrzehnt ein. Die Gesellschaft politisierte sich. Das Engagement nahm zu. Die bestehenden linken Organisationen erreichten ungeahnte Mitgliederzahlen. Die Wahlbeteiligung stieg auf über 90%. Dadurch demokratisierte sich die ganze Gesellschaft. An den Unis erkämpften die Studierenden eigene Interessenvertretungen mit den ASten. Sie erzwangen die Öffnung der Unis und brachen mit Elitenfixierung und der Dominanz der deutschnationalen Burschenschaften. Linke Kampagnen und eine kluge Besetzungspolitik brachten erstmals eine bedeutende Zahl von linken und kritischen Lehrenden auf deutsche Lehrstühle.

In den Betrieben konnten die Firmenleitungen aufgrund des Drucks von den Belegschaften weniger durchregieren. Die Löhne stiegen aufgrund des Drucks gewerkschaftlicher oftmals migrantischer Belegschaften. Die Gewerkschaften öffneten sich daraufhin für die vormaligen Gastarbeiter*innen.

Die Frauen- und Homosexuellenbewegung erkämpfte sich in vielen Bereichen die gesetzliche Gleichstellung. Frauen entschieden nun selbst, ob sie arbeiten dürfen oder nicht. Mit den Frauenhäusern gründeten sie Anlaufpunkte für Betroffene patriachaler Gewalt. Mit dem Kampf gegen den Paragraf 218 erstritten sie das Recht auf körperliche Selbstbestimmung.

Ohne die 68er ist auch die Friedens- und Entspannungspolitik nicht zu denken. Viele Kriege des Westens gingen verloren und viele Staaten der Dritten Welt befreiten sich vom Joch der direkten Besatzung. Auf internationaler Ebene entstanden Institutionen der Abrüstung und Demilitarisierung.

Die vor ’68 starke NPD verschwand durch die Stärke der Linken in der Bedeutungslosigkeit. Viele Bereiche wurden demokratisiert. ’68 steht damit für einen gesellschaftlichen Aufbruch, für einen gesellschaftlichen Fortschritt, für Demokratie, Freiheit und den Anspruch auf soziale Rechte für Alle!

Heute wissen wir: Demokratie, hohe Löhne und gute Arbeit, Sozialstaat, das Recht auf Abtreibung, kostenlose Bildung und Freiheit sind keine Selbstverständlichkeiten. Nach 50 Jahren wurden manche Errungenschaften wieder kassiert, andere stehen in Frage. Wir sind noch keineswegs fertig und noch lange nicht am Ziel. Linke, ArbeiterInnenbewegung, feministische und migrantische Kämpfe fielen 1968 zusammen. Sie sind ein Vorbild und wichtiger Anknüpfungspunkt für die Auseinandersetzungen unserer Zeit!

 

(beschlossen mit übergroßer Mehrheit auf dem SDS-Bundeskongress im Dezember 2017)