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Don’t mourn, organize! – Leitantrag des Bundesvorstandes auf dem Bundeskongress im Dezember 2017

Die Bundesrepublik erlebt, wie viele andere Länder auch, eine deutliche gesellschaftliche und politische Rechtsentwicklung in Folge der gravierenden politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbruchprozesse der letzten Jahre. Kapitalistische Krisentendenzen spitzen sich zu, wodurch der neoliberale Konsens zunehmend bröckelt. Auf den Verlust der Legitimation reagiert die herrschende Politik mit Entdemokratisierung und verstärkter Repressionen. Der Rechtstrend ist inzwischen auf allen Ebenen des Alltags zu spüren. 

Das offensichtlichste Beispiel sind die Ergebnisse der Bundestagswahl mit dem lange befürchtete Einzug der AfD in den Bundestag und insbesondere deren sächsisches Landesergebnis von 27 %. Noch scheint die AfD politisch isoliert, aber hinter den Kulissen vollzieht sich bereits jetzt bei CDU/CSU, SPD, die Grünen und FDP eine deutliche Verschiebung: sie alle sind sowohl im Wahlkampf als auch in Regierungshandlungen und Sondierungsgesprächen nach Rechts gerückt.

Doch die AfD ist nur der sichtbarste Ausdruck der wachsenden Relevanz der politischen Rechten. Ihr Erfolg, und der damit verbundene Ressourcengewinn, zeigen wie weit Entsolidarisierung und rechtes Gedankengut in unserer Gesellschaft bereits etabliert sind.

Auf den Straßen und im Internet kann sich die Bundeswehr als friedensbringende Wahrerin demokratischer Rechte inszenieren und erfährt kaum Gegenwehr. Während Schäuble noch bei seinem Amtsabtritt für seine „schwarze Null” und für den damit verbundenen Kürzungen gefeiert wird, beschließt die Regierung eine Erhöhung des Wehretats und verlängert den Auslandseinsatz in Mali. Während medial die Aufregung über die AfD dominiert und die Kanzlerin als Beschützerin der Demokratie gefeiert wird, setzten CDU/CSU gemeinsam mit SPD und Grünen, von der Öffentlichkeit scheinbar unbemerkt, eine Gesetzesverschärfung nach der anderen durch: Seien es Verschärfungen im Asylrecht, welche es noch einfacher machen Menschen abzuschieben, Überwachungsvorhaben wie den Bundestrojaner oder Gesichtserkennung, oder die absurde Erhöhung der Strafen für „tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte“. Sie alle sind Ausdruck der autoritären Antwort auf sich zuspitzende gesellschaftliche Konflikte.

Die negative Bilanz der SPD, sowie die immer stärkere Integration der Grünen in den rechts-neoliberalen Block zeigt, dass wir uns bei der Suche nach Alternativen nicht auf die Perspektive eines rot-rot-grünen Option stützen können. Diese entpuppt sich bundesweit nicht nur immer mehr als illusionäre Zahlenspielerei, sondern verbindet sich auch in keiner Weise mit einem solidarischen Projekt gegen den Neoliberalismus. Folglich ist das Bedrohungsszenario durch einen immer offener rechts und aggressiv agierenden Neoliberalismus der herrschenden Politik nicht mehr zu übersehen.

Ursachen der Rechtsentwicklung

Die Wurzeln dieser Rechtsentwicklung liegen in der Entwicklungsdynamik des Kapitalismus’. Mit dem schrittweisen Übergang vom fordistisch organisierten Modell des „Rheinischen Kapitalismus“ zu einem finanzmarktgetriebenen Neoliberalismus seit den 1980’er Jahren wurde – auch und gerade unter der Federführung von SPD und Grünen – die gesellschaftlich-ökonomische Ungleichheit potenziert. Die damit einhergehende wachsende soziale Unsicherheit schürt in zunehmendem Maße Ressentiments und Hass. Arbeitslose werden gegen Geflüchtete, Fach- gegen Leiharbeiter*innen oder Kleinbürger mit Einfamilienhaus gegen Proletarier*innen aus den Plattenbauten ausgespielt.

Die im Neoliberalismus angelegte Vereinzelung in allen Lebensbereichen macht es gleichzeitig für viele Menschen schwieriger, die systemischen Ursachen ihrer sozialen Lage zu erkennen. Der Neoliberalismus hatte also insofern Erfolg, „die Gesellschaft“ oder auch „die Klasse“ als Maß ökonomischen Handelns und politischer Orientierung zu verdrängen.  Damit hat er reaktionäre bis faschistische Denkmuster von Gemeinschaft wieder salonfähig gemacht.

Unter dem Deckmantel der „individuellen Verantwortung“ fand und findet die massive Aushöhlung staatlich organisierter Formen der Solidarität, wie etwa der gesetzlichen Rente, statt, welche die gesellschaftliche Unsicherheit und Ungleichheit massiv verschärft. Diese erreichte mit den Hartz IV-“Reformen“ ihren Höhepunkt.

Mit der Weltwirtschaftskrise 2008ff. und den mit ihr offen zu Tage tretenden Ungerechtigkeiten schien der Neoliberalismus ideologisch am Ende. Doch seine Verfechter*innen wussten eine Lösung: die sogenannte „Schuldenbremse“ sollte sicherstellen, dass auch bei enormen politischen Umwälzungen keine Abkehr von den neoliberalen Umstrukturierungen mehr möglich ist, denn, wenn ein Land oder eine Gemeinde nicht mehr die Möglichkeit hat sich zu verschulden, so ist es ihm oder ihr, unabhängig vom politischen Willen, auch kaum mehr möglich steuernd in das Wirtschaftsleben einzugreifen. Doch fest steht auch: der starke neoliberale Staat nützt vor allem den (ökonomisch) Mächtigen. Und ihr Einfluss wird immer unübersehbarer: Inzwischen diktieren sie schon die Steuergesetze.

Gleichzeitig werden die Beschäftigten (im verarbeitenden Gewerbe) einem sich immer weiter verschärfenden Standortwettbewerb ausgesetzt, der in Zeiten schwacher Gewerkschaften und eines deregulierten Sozialstaates zu Lohnsenkungen, Arbeitslosigkeit und Börsenwertsteigerungen führt. Dies ist jüngst etwa bei Siemens in Berlin zu beobachten.

All diese Entwicklungen bilden erst die ökonomische Grundlage für den Rechtsentwicklung, den wir gerade erleben. Auch DIE LINKE. hat da, wo sie in Regierungen sitzt, keine Antwort auf diese fatale Logik gefunden. Lieber geriert man sich als Verwalter des neoliberalen Elends in der Fläche, als den Versuch zu unternehmen, greifbare Alternativen aufzubauen. Deshalb darf es keine Regierungsbeteiligung der Partei die Linke geben solange es keine Perspektive für die Überwindung neoliberaler Politik gibt.

Perspektiven für eine linke Offensive

Wir sind Teil der wachsenden progressiven Bewegung. Dort wo es die gesellschaftliche Linke schafft, glaubwürdig und geschlossen aufzutreten, können etwa Massenproteste, wie bei TTIP und G20, entstehen: Bei denen Tausende gemeinsam für einen gerechteren Welthandel und gegen imperialistische Politik auf die Straße gegangen sind. Auch viele Anti-PEGIDA-Proteste gewannen an Breite, wie zum Beispiel in Leipzig, wo Dank klarer antifaschistischer und linker Inhalte tausende Menschen gegen Rassismus und für eine humane Gesellschaft protestiert haben. Beeindruckend sind auch die sich immer weiter ausbreitenden Streiks des Krankenhauspersonals. In der ganzen BRD schließen sich Pfleger*innen zusammen, um für besser Bedingungen in Krankenhäusern – für Personal und Patient*innen – zu kämpfen.

Wir haben nach der Bundestagswahl tausende Neumitglieder bei der LINKEN dazugewonnen, neue SDS-Gruppen wurden gegründet und wir haben durch einen engagierten Wahlkampf großen Zuwachs bei den Wahlergebnissen der Partei in städtischen Regionen des Westens erzielt.

Die Ergebnisse der Bundestagswahl eröffnen hier Perspektiven einer klaren Gegenmobilisierung nach links. So verlor die Die LINKE zwar in den alten Hochburgen der PDS in Ostdeutschland, wie auch bereits bei vorangegangenen Wahlen, deutlich an Stimmen, in den Groß- und Universitätsstädten, insbesondere in Westdeutschland, sieht die Lage völlig anders aus: In Städten wie Köln (11,47 %), Freiburg (11,2 %), Bremen (13,5 %), Nürnberg (10,4 %) oder Marburg (16,4 %) zeigt sich, dass das insgesamt leicht positive Ergebnis für Die LINKE bei einem westdeutschen Ergebnis von 7,2 % maßgeblich auf diese urbanen Räume zurückzuführen ist. Der Blick ins Detail belegt: 1. (mit leicht negativer Bilanz) dass die Hochburgen der LINKEN insbesondere in den Gebieten mit Plattenbauten und 2. (mit stark positiver Bilanz) in jenen Gebieten, in welchen ein links-grün bzw. studentisches Milieu überwiegt, liegen. Das Potenzial für eine starke LINKE und einer entsprechenden Mobilisierung gegen Rechts ist also insbesondere bei diesen beiden Gruppen zu verorten; dem akademischen und dem nicht-akademischen Prekariat. Im akademischen Prekariat erfuhr diese Entwicklung in den letzten Jahren eine enorme Dynamik. Wenn es uns und auch der LINKEN gelingen soll einen gesellschaftlich wirkmächtigen gegenhegemonialen Block zu schaffen, so müssen wir einerseits auf diesem bereits Erreichten aufbauen. Andererseits ist es aber dringend nötig, zusammen mit den Prekarisierten ohne akademischen Hintergrund, seien es nun die Leiharbeiter*innen in den Fabriken, die Verkäufer*innen im Einzelhandel oder die Angestellte im Reinigungsgewerbe, für eine starke solidarische Alternative zu kämpfen.

Nur wenn es DIE LINKE schafft, Kämpfe dieser Gruppen zusammenzuführen und zu verbinden, wird es möglich sein eine schlagkräftige Einheitsfront der Prekarisierten aufzubauen und damit politischen Wandel zu ermöglichen.

Unsere Praxis

Wir, dielinke.SDS, sind als Studierendenverband an den Hochschulen der BRD und darüber hinaus aktiv. Wenn es gilt, eine solidarische Alternative zum neoliberalen Sozialdarwinismus der Herrschenden zu entwickeln, sollten wir zunächst an den Hochschulen ansetzen. Diese waren und sind ein Ort, an dem die herrschende Ideologie reproduziert wird. Heute wird fast 50% eines Abschlussjahrgangs an den Hochschulen gebildet und ausgebildet. Dabei wird das Weltbild der Studierenden durch die dort stattfindende Lehre beeinflusst. Die Hochschule haben seit den letzten Jahrzehnten vor allem durch Bologna einen massiven neoliberalen Umbau erlebt – damit ist auch ein deutlicher Rechtsentwicklung in den Hochschulen verbunden. Trotz steigender Studierendenzahlen wird die Grundfinanzierung der einzelnen Hochschulen nicht weiter erhöht, sodass immer mehr Forschung und Lehre durch Drittmittel finanziert werden muss. Dadurch stehen sowohl die Hochschulen als auch die einzelnen Fakultäten in ständiger Konkurrenz im Kampf um die knappen Gelder. Der akademische Mittelbau wird durch die Unterfinanzierung immer weiter ausgehöhlt und prekarisiert. Durch knappe Regelstudienzeit stehen die Studierenden in Konkurrenz und unter Leistungsdruck. Eine solche ideologische Ausrichtung und materielle Ausstattung der Hochschulen schränkt die Möglichkeiten der emanzipatorischen Bildung sehr stark ein. Umso wichtiger ist es für uns als SDS an den Hochschulen für kritische Wissenschaft zu kämpfen. Eine Wissenschaft, die sich als Teil von Gesellschaft begreift und die zu den großen gesellschaftlichen Probleme, wie Ausbeutung und Unterdrückung, Krieg und Umweltzerstörung eingreifend Stellung bezieht.

Wenn wir von den Hochschulen ausgehen, so lässt sich festhalten, dass diese heute nicht nur eine zentrale gesellschaftliche Sozialisierungsinstanz darstellen, sondern auch, dass gerade hier die Anti-AfD-Mobilisierung auf den fruchtbarsten Boden trifft. Viele Studierende engagieren sich seit Jahren für eine solidarische Gesellschaft und gegen die Rechtsentwicklung, sei es in der Flüchtlingsarbeit, in politischen Gruppen, in Stadtteilprojekten oder bei Demonstrationen. Außerdem ist die politische Rechte, über Burschenschaften und Verbindungen hinaus, an den allermeisten Hochschulen nur schlecht verankert. So lässt sich, trotz enormer lokaler Unterschiede sagen, dass es der AfD bisher kaum gelungen ist sich politisch an den Hochschulen zu etablieren. Der RCDS ist, abgesehen von den Fachhochschulen, in letzten Jahren strukturell im Abnehmen begriffen.

Für uns sind die Möglichkeiten für politisches Handeln innerhalb und außerhalb der Hochschulen gestiegen. Unsere lokal sehr diversen Praxen, von politischer Bildungsarbeit über Engagement in der studentischen Selbstverwaltung bis hin zu Streiksolidaritätsaktionen, erlauben es uns diverse Ansatzpunkte für eine (kulturell-)hegemoniale Praxis zu entwickeln.

Allerdings müssen wir uns auch, als einziger bundesweiter linker Studierendenverband, unserer Verantwortung für die ganze politische Linke in Deutschland bewusst sein. Viele von uns werden in Zukunft, wenn es die Arbeitsverhältnisse zulassen, ihre politische Arbeit nach dem Studium in der Partei DIE LINKE oder ihrem Umfeld fortsetzen. Diese leidet allerdings seit geraumer Zeit unter einer Überakademisierung, sowohl personell als auch diskursiv. Dies erschwert die Integration von Gruppen ohne akademischen Hintergrund in der konkreten politischen Arbeit. Gleichzeitig ist marxistische und feministische Bildung häufig nur in geringem Maße verbreitet. In der politischen Bildungsarbeit bietet unsere Verbandspraxis bereits jetzt viele gute Ansatzpunkte. Wenn wir einerseits eine stärker hegemoniale Stellung an den Hochschulen erringen wollen und andererseits das linke Projekt strukturell stärken wollen, so ist eine der zentralen politischen Herausforderungen für die nächsten Jahre an der Hochschule Menschen mit nicht-akademischem Hintergrund, d.h. insbesondere Arbeiter*innenkinder, einzubinden.

Dabei müssen wir in unserer Praxis strategisch bei den Bedürfnissen und Zielen dieser Studierenden anknüpfen, d.h.

1. Sprache: eine “verständliche” Ansprache entwickeln, die am Alltagsverstand ansetzt.

2. Erfahrungen kollektivieren: die individuellen Unterdrückungserfahrungen im durchherrschten Raum Uni über die individuelle Ebene hinaus verbreitern und damit die Selbstemanzipation sowie die Entwicklung von Klassenbewusstsein fördern.

3. Selbstemanzipationsstrukturen: Es kann hilfreich sein, externe Strukturen wie Arbeiter*innnenkindreferate an den Hochschulen zu unterstützen und zu etablieren.

Wichtig ist, dass wir besonders gesellschaftlich polarisierende Themen wie Kriegseinsätze, die Soziale Frage, Fragen der Migrationspolitik, Sexismus und Rassismus als zentrale Elemente unserer Politik am Campus etablieren. Ausgehend von der Pluralität unserer politischen Arbeit vor Ort entwickeln wir eine gemeinsame Praxis, die im stärkeren Maße als bisher Kämpfe verschiedener Gruppen von Prekarisierten zusammenführt. Wir werden weiter an Stärke gewinnen und geschlossen der Rechtsentwicklung entgegentreten, indem wir uns mit den neoliberalen Verhältnissen anlegen, die die Rechten stark gemacht haben.

Für den Sozialismus, gegen die Reaktion!

 

(mit großer Mehrheit auf dem Bundeskongress im Dezember 2017 angenommen)