Beschlussheft

27. Bundeskongress von Die Linke.SDS

Wintersemester 2020/2021

 

Inhalt

 

A1 Leitantrag
A4 Gründung des BAK Internationalismus
A5 Seminarwochenende: Linke Perspektiven auf und aus Osteuropa
A11 Seminarwochenende zu friedens- und sicherheitspolitischen Themen
A12 Ablehnung von IHRAArbeitsdefinition und 3D-Test
A13 Rosa-Luxemburg-Konferenz und Luxemburg-Liebknecht-Demonstration
A14 Wochenendseminar: Zur Rolle der Wissenschaft in der bürgerlichen Gesellschaft
A16 Aufruf zum regelmäßigen Austausch zum Solidarsemester der SDS-Gruppen mit AStA-Beteiligung
A17 Gemeinsam die Krise überwinden: Gegen die neoliberale Vereinzelungsideologie. Für progressive Kultur und eine solidarische Gesellschaft
A19 Raus der Krise heißt raus aus dem neoliberalen Kapitalismus: Kritische Wissenschaft und emanzipatorische Bildung statt unternehmerische Hochschule
A20 Gegen die undemokratische Novelle des Baden-

Württembergischen Landeshochschulgesetzes

A21 Ostdeutschland verstehen und ins Handeln kommen
A23 Für den 4-Stunden-Tag
A24 Sozialismus – Ja gerne, aber Planwirtschaft wie genau? Ich versteh dich nicht.
A25 Bluten ist kein Luxus
A28 Vom MSB Spartakus lernen: Was bedeutet gewerkschaftlich orientierte Hochschulpolitik?
A30 Kein Platz für die unternehmerische Hochschule! Solidarität mit der Petition der „Initiative Geistes- und Sozialwissenschaften“ gegen die neoliberale Hochschulnovelle in Bayern
A31 2021 Jahr der Klimawahl – aber richtig

 

 

 A1. Leitantrag

Der Bundeskongress möge beschließen:

Seit über neun Monaten gelingt es den Regierungen nicht, die Corona-Pandemie wirksam einzudämmen. Weder mediale Appelle an die Einzelperson noch hohe Geldstrafen haben eine zweite Infektionswelle verhindert. Die Debatte darüber ist polarisiert: Entweder wird Gehorsam gegenüber nicht immer sinnvollen Maßnahmen gefordert – oder Corona geleugnet. Wir sollen, scheinbar, zwischen “Sicherheit” und “Freiheit” wählen. Was in der medialen Debatte in Deutschland fehlt, ist eine solidarische, linke Perspektive auf die Bewältigung der Krise. Hier sind wir, der Sozialistisch-Demokratische Studierendenverband, als Teil der politischen Linken, gefragt. Wir müssen an all den Krisenherden – Gesundheit, Wirtschaft, Klima, Rassismus, Mietenwahnsinn – organisierend und aufklärend wirken und die Kämpfe verbinden. Denn sie haben eine gemeinsame Ursache: Den Kapitalismus.

1.1 Klimakrise

Die Corona-Pandemie hat die Erderhitzung und ihre katastrophalen sozialen Folgen in den medialen Hintergrund gerückt. Doch der Raubbau an der Natur dauert auch im Lockdown an, wie die Abholzung des Dannenröder Forsts zeigt.

Die kapitalistische Produktionsweise ist in Form der kommerziell getriebenen Zerstörung

von Urwäldern, komplexen Ökosystemen und Biodiversität sowie globaler Kapital- und

Warenströme für industrielle Landwirtschaft auch die Ursache der vermeintlichen

‚Naturkatastrophe‘ Corona-Pandemie. Aktuelle und zukünftige Pandemien können also nur

überwunden werden, wenn wir das Sache an die kapitalistische Wurzel gehen

Wir brauchen deshalb eine radikale Alternative zur jetzigen Klima- und Umweltpolitik. Sie darf kein verstecktes „Weiter so“, kein Green Washing sein. Denn die neoliberale Wirtschaft beruht auf Kapitalakkumulation, Profit und Konkurrenzzwang der Unternehmen. Im Kapitalismus kann die Klimakatastrophe nicht verhindert werden.

. Es kann nicht sein, dass weiterhin diejenigen unter der Krise leiden, die sie nicht verursacht haben! Marginalisierte Gruppen, BIPoC, FINT* (Frauen, Inter*sexuelle, Nicht-binäre, Trans*personen) und Arbeitende. Darum müssen ökologische Kämpfe stets auch antirassistisch, feministisch und antikolonial sein. Schon jetzt zwingen Naturkatastrophen Menschen im globalen Süden zur Flucht. Wer den Weg nach Europa sucht, trifft auf die tödlichste Grenze der Welt. Die Klimakrise kann nicht durch individuellen Konsum, sondern nur durch internationale, intersektionale Solidarität gelöst werden. Wir brauchen eine Demokratisierung von Gesellschaft, Produktion, Kommunen, Infrastruktur, Finanzierung, Mobilität, Eigentum und Staat.

1.2 Wirtschaftskrise

Die Corona-Pandemie hat die sozioökonomischen Widersprüche vertieft. Durch verzweifelte Rettungsversuche versucht die Bundesregierung den neoliberalen Kapitalismus zu stabilisieren, dabei steht sie mit ihrer Politik eng an der

Seite der Monopolistischen-Kapitalfraktionen und arbeiten offen mit diese

zusammen, um für ihr Wohl zu sorgen (Monopol im Sinne Lenins). Durch die

Krisenpolitik tritt die Klassenspaltung (Monopolistische Kapitalfraktionen vs.

Kleinbürgertum und Arbeiter*innenklasse) noch offener zu Tage und macht die

Funktion bürgerlicher Regierungen erneut klar. Ihr oberstes Ziel ist es den Fluss des

Profits nicht einzuschränken. Während bei den einen Gewinne, Dividenden und

Spekulationserlöse fließen, wird den anderen über Strom- und Gassperren die

nötigste Grundversorgung entzogen.

Zwischen April und Juni sanken die Reallöhne durchschnittlich um 4,7% – in Zeiten von Lohndumping ist das existenziell bedrohlich für einen Großteil der arbeitenden Bevölkerung. Insbesondere (migrantische) Frauen und Trans*personen sind von Verelendung gefährdet. Sie werden häufiger in krisenanfälligen Branchen beschäftigt, schlechter entlohnt und durch wegfallende Kinderbetreuung sowie Home-Office einer höheren Belastung in der Sorgearbeit ausgesetzt.

Die aktuelle Wirtschaftskrise wurde durch die Corona-Pandemie verschärft, kam aber dennoch mit Ansage: Schon 2019 entkam die deutsche Wirtschaft mit nur 0,6% Wachstum knapp der Rezession. Für 2020 rechnet das ifo-Institut mit einem Einbruch von -5,7%. Zwar wurden die Finanzmärkte und Unternehmen durch expansive Geldpolitik und staatlich Zuschüsse stabilisiert. Doch dies ist nur „gekaufte Zeit“ (Streeck): Ein kreditfinanzierter Aufschub der Krise, falls keine Investitionen in der Realwirtschaft stimuliert werden. Unternehmen wie BMW, Lufthansa und VW erhalten derweil dank staatlicher Stütze Rekordrendite – allein die Unternehmerfamilien Quandt und Klatten 700 Millionen Euro im Frühjahr 2020. Die wirtschaftlichen Maßnahmen der Bundesregierung in der Wirtschaftskrise dienen zum einen der Sicherung von Liquidität und Rentabilität der Unternehmen. Zum anderen wird mit staatlicher Kostenübernahme des Kurzarbeitergeldes der Arbeitskräftebedarf an die Krisendynamik angepasst und eine Anhebung der Sozialhilfe verhütet. Die Kosten trägt letztlich der*die Steuerzahler*in, damit vor allem die Arbeiter*innenklasse. Durch kleine materielle Zugeständnisse „konnte die Kapitalist[*inn]enklasse ihre Hegemonie gegenüber den anderen Klassen vorerst festigen“ (Sablowski, ProKla, 50/2020). Doch es regt sich auch Widerstand gegen diese Zumutungen: So hat die Gewerkschaft Ver.di trotz massivem medialem Druck zur „Verantwortung in der Krise“ im Oktober zu Warnstreiks aufgerufen und ein Signal auch an andere Gewerkschaften gesandt, dass es eine Alternative zum Krisenkorporatismus gibt.

1.3 Studium in Zeiten der Pandemie

Wir Studierende sind als oftmals prekär beschäftigte Lohnabhängige mittendrin. Eine vermögensabhängige Überbrückungshilfe, die kaum die überteuerten Mieten decken kann, hilft da wenig. Insbesondere Studierenden aus dem Ausland droht die unfreiwillige Rückkehr in ihr Heimatland: durch weggefallene Jobs, unsicherere Aufenthaltsstatusregelungen – oder schlichtweg aus Angst vor einer Corona-Infektion in den unterfinanzierten, überfüllten und für den Pandemiefall kaum gerüsteten Studierendenwohnheimen. Eine Verschärfung unserer Studienbedingungen kommt erschwerend hinzu: Seit Beginn der Pandemie sind die Hochschulen für die meisten Studierenden nicht mehr zugänglich. Die Schließung der Hochschulen wird zum Siegeszug digitaler Unternehmen, was weiteren Sparmaßnahmen Tür und Tor öffnet: Beispielsweise, wenn für sogenannte asynchrone Lehre einfach eine Vorlesung aufgenommen und diese in jedem Semester von neuem abgespielt wird. Wir alle wünschen uns, dass der Austausch mit Kommiliton*innen wieder regulär möglich sein kann. Aber die veränderten Lebensbedingungen der Studierenden und Änderungen in Bezug auf die Lehre führen nun zu neuen Anforderungen, welche die Hochschullehre erfüllen muss:

Online-Lehre sollte sowohl synchron als auch asynchron angeboten werden. Das synchrone Angebot ist wichtig, um Tagesstruktur mit fest vereinbarten Terminen zu schaffen. Gerade in Zeiten des Home-Office kann dies ein notwendiges Element sein, um Studierende psychisch zu unterstützen. Gleichzeitig erleichtert es, mit Lehrenden und Kommiliton*innen in Austausch zu kommen. Das asynchrone Angebot ermöglicht es, verpasste Lehre nachzuholen und sie in einem individuell gewählten Tempo nachzuarbeiten. Das Online-Angebot wird für die nächsten Monate notwendig sein. Zum einen aufgrund der aktuellen Infektionszahlen – zum anderen, da viele Studierende nicht mehr an dem Ort wohnen können, an dem sie studieren, und vorerst nur online teilnehmen werden. Die durch die Online-Lehre entstehende zusätzliche Belastung für Studierende und Angestellte der Hochschulen muss möglichst gering gehalten werden, weshalb wir Entlastungen vor allem für Studierende und Lehrende ausdrücklich befürworten und auch einfordern. Grundsätzlich setzen wir uns, sofern es das Infektionsgeschehen zulässt, für eine Wiederaufnahme der Präsenzlehre unter bestmöglichen Schutzmaßnahmen ein – wobei die Teilnahme unbedingt freiwillig sein muss und vom Online-Angebot begleitet werden sollte, um niemanden von der Lehre auszuschließen. Neben sozialpolitischen Forderungen müssen wir die Frage nach der Relevanz der Hochschulen stellen. Gerade in der Krise erweist sich ihr Umbau zu reinen Ausbildungsstätten als besonders destruktiv. Zunehmende Privatisierung von Forschung und Entwicklung tun ihr Übriges, dass die Institutionen nun kopflos vor einer Verantwortung stehen, die nur wenige begreifen und die meisten nicht haben wollen. Die Pandemie verstärkt die Notwendigkeit unserer Forderungen. Es ist umso wichtiger, sie auch mit Nachdruck zu vertreten. Dies wird seit einigen Monaten im Bündnis #solidarsemester versucht, einem breiten Bündnis aus Studierendenschaften, Hochschulgruppen und Gewerkschaften. Die sozialpolitischen Zielsetzungen des Bündnisses sind umfangreich und treffend. Die Notwendigkeit einer breiten Mobilisierung der Studierenden für ihre Belange und gegen soziale Verwerfungen muss allerdings sowohl im Bündnis, als auch in unseren eigenen Reihen mehr Bewusstsein erlangen. Das heißt: Es ist unsere Aufgabe Bewegung in dieses Bündnis zu bringen und so den Druck für die gemeinsamen Forderungen zu erhöhen. Dies gilt ebenso in Hinblick auf die angekündigten Gesetzesänderungen hin zur unternehmerischen Hochschule in Bayern, Baden-Württemberg und Hamburg! Wie auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen darf das Ziel nicht die Wiederherstellung des Status vor der Pandemie sein. So war schon vor den unzureichenden Soforthilfen die Studienfinanzierung eine Katastrophe, schon vor dem digitalen-Lockdown war die Lehre in vielen Bereichen alles andere als kritisch und emanzipativ. Aufgabe des SDS sollte es deswegen in lokalen und überregionalen Bündnissen sein, bestehende Kämpfe gegen die aktuellen Missstände mit Widerstand gegen die systematischen Ursachen des unsozialen und neoliberalen Hochschulsystems zu verbinden.

1.4 Hanau war kein Einzelfall – faschistische Gefahr ernst nehmen

Die Demos gegen die Corona-Maßnahmen in Berlin waren ein symbolisches und organisatorisches Erfolgsmoment der faschistischen Bewegung. Fast wöchentlich erfährt man von neuen rechten Netzwerken in Polizei und anderen Behörden. Das faschistische Potential in Deutschland ist nicht neu, aber nach jahrelangen Relativierungen und Vertuschungen seitens der bürgerlichen Mitte wird es nun zunehmend sichtbar und spürbar. Eine Erzählung von Einzelfällen gab der politischen Rechten Zeit, sich zu einer immer größeren Gefahr zu entwickeln. Und eine in Medien und Parlamenten präsente AfD hat rechte Gewalt in Sprache und Verhalten enttabuisiert. Das bekommen Migrant*innen, BIPoC, Frauen, queere Menschen und Menschen mit Behinderungen besonders zu spüren. Es darf nicht sein, dass jene sich an manchen Tagen nicht auf die Straße trauen, weil Staat und Polizei kläglich am Zurückdrängen der faschistischen Bewegung scheitern! Umso wichtiger ist, jenen antifaschistischen und migrantischen Netzwerken zuzuhören, die seit Jahren vor dieser Entwicklung warnen und sie dokumentieren. Die Krisensituation verschärft den Rassismus gegen Migrant*innen und BIPoC auf mehreren Ebenen. Nachdem zu Beginn der Pandemie insbesondere asiatisch gelesene Menschen regelrecht gemieden wurden, leiden nun auch Saisonarbeiter*innen, ja sogar ganze migrantisch geprägte Stadtteile unter Schuldzuweisungen. Als Sündenböcke werden sie verantwortlich für die Verbreitung des Virus gemacht und noch weiter an den Rand der Gesellschaft gedrängt – ob durch das Abriegeln ganzer Wohnblöcke oder den Ausschluss vom öffentlichen Leben. Prekäre Arbeits- und Wohnbedingungen, von denen Migrant*innen überdurchschnittlich betroffen sind, begünstigen eine Erkrankung tatsächlich. Gleichzeitig sind es Migrant*innen, die unterdurchschnittlich medizinische Versorgung erfahren. Hinzu kommt der Aufschwung rassistischer, faschistischer und antisemitischer Ideologien, der insbesondere dem Erstarken der Querdenken-Szene geschuldet ist. Im Rahmen diverser Demonstrationen und Einflussnahme über die sozialen Medien tun sie ihr hetzerisches Gedankengut regelmäßig öffentlichkeitswirksam kund, ohne ernsthaften Konsequenzen ausgesetzt zu sein. Sie sind eine Gefahr für alle Betroffenen und beschneiden Migrant*innen und BIPoC in ihrer Bewegungsfreiheit, Sicherheit und sowohl psychischer als auch physischer Gesundheit. Im Laufe des Jahres sind aber auch Gegenprotesten und Widerstand stark gewachsen. Insbesondere mit der #black-lives-matter-Bewegung kamen bundesweit zehntausende Menschen zusammen, um gegen strukturellen und alltäglichen Rassismus zu demonstrieren. Die Bewegung sensibilisierte Nichtbetroffene und stieß eine Welle der Solidarität an. Zum anderen zwang die Dringlichkeit und das Zunehmen gewaltvoller rassistischer Verbrechen – wie in Georgetown, Hanau und Halle – Betroffene regelrecht, sich selbst verstärkt zu organisieren und gemeinsamen Selbstschutz zu bilden. Wir müssen an unserer antirassistischen und antifaschistischen Arbeit anknüpfen, die Kämpfe weiterhin führen, unterstützen und aktiv mitgestalten! Neben stetigem Zuhören, den Betroffenen Glauben schenken und Selbstreflektion müssen wir mit unseren Ressourcen und Strukturen Rassismus und Faschismus konsequent bekämpfen. Gerade in Momenten wie diesen, in denen sich die Kämpfe aus einer drängenden Not heraus zuspitzen, Zulauf und Wachstum erfahren und die Stimmung in der Gesamtgesellschaft maßgeblich mitbestimmen, müssen wir sie weiter nach vorne treiben, die Ursachen sowie die Anliegen der Betroffenen sichtbar machen und uns für Veränderung einsetzen.

1.5 Die Krise an den Außengrenzen der Europäischen Union

Schon vor der Pandemie war die Lage in Geflüchtetenlagern wie Moria menschenunwürdig. Mit Ausbreitung des Virus ist ein neuer Punkt der Katastrophe erreicht. Hygienekonzepte und Sicherheitsvorkehrungen scheinen für die Menschen dort nicht zu gelten. Sie müssen weiterhin zusammengepfercht in kleinen Zelten ohne festen Grund hausen, erhalten weder ausreichend Lebensmittel, noch medizinische Versorgung. Nach Bekanntwerden des ersten Coronafalls in Moria, wurde das Lager regelrecht abgeriegelt und die Menschen ihrem Schicksal überlassen. Nicht einmal der große Brand, der das Geflüchtetenlager vollständig zerstörte, bot der EU Anlass zum Handeln. Im Gegenteil: Es folgte ein ewiges Verhandeln darüber, ob und wie viele der Geflüchteten evakuiert werden sollen. In Deutschland wird die Aufnahme der Geflüchteten aktiv durch das Bundesinnenministerium blockiert. Menschenrechte sollten nicht verhandelbar sein! Auch die Lage an den Außengrenzen bleibt unverändert. Bereits im Mittelmeer sind Geflüchtete dem gewaltsam agierenden Grenzschutz ausgesetzt. Schaffen sie es unter Einsatz ihres Lebens an das Festland, sind sie keineswegs sicherer. Immer wieder fallen sie rassistischen Angriffen zum Opfer. Von den sogenannten „Werten“ der EU, die sie regelmäßig zum Aushängeschild macht, fehlt jede Spur.

1.6 Die Krise feministisch denken

Die Krise trifft insbesondere Frauen und queere Menschen: Löhne sinken, öffentliche Daseinsvorsorge wird gekürzt und damit reproduktive Arbeit, wie Pflege, Mobilität und Erziehung, ins Private verschoben. Geschlechterrollen werden verhärtet und familiäre Abhängigkeitsverhältnisse gefestigt. Die Arbeits-belastung von Frauen ist erheblich gestiegen. Zudem hat (hetero-/)sexistische Gewalt zugenommen. In erneuten Krisenzeiten müssen wir weibliches und queeres Leben besser schützen. Wenn Faschist*innen reaktionäre Familien- und Geschlechterbilder propagieren, ist eine queer-feministische Herangehens-weise an Theorie und Praxis wichtiger denn je. Sie hilft uns nicht nur, die Krise und ihre Auswirkungen zu verstehen und Betroffene zu organisieren, sondern sie rettet auch konkret Leben. Wir müssen unsere Kämpfe umso entschiedener weiterführen: für einen queer feministischen Zugang zur Wissenschaft (theoretisch wie materiell), gegen die Kriminalisierung von Abtreibung, gegen sexualisierte Gewalt, gegen jede Transphobie, für die gerechte Verteilung von Reproduktionsarbeit, für sichere Rahmenbedingungen in der Sexarbeit, für gleiche Löhne und Aufstiegschancen für alle Geschlechter! Als sozialistische Feminist*innen können wir diese Kämpfe konsequent führen, da wir die Probleme an der Wurzel anpacken und die materiellen Dimensionen des Heterosexismus nicht vergessen. Mit diesen Perspektiven müssen wir in feministische Debatten und Bewegungen mit Organisierungsversuchen und politischer Praxis hineinwirken.

1.7 Frieden & Abrüstung

Während weniger Staatsgelder in soziale Bereiche fließen, hält die Bundesregierung am Rüstungsetat 2020 fest. Die Bundeswehr kann als Krisenretter inszeniert werden, weil die unterfinanzierten Gesundheitsämter überfordert sind. Nazi-Skandale, z.B. in der Elitetruppe KSK, werden so noch mehr verdrängt. Während an die Moral des Krankenhauspersonals appelliert und die Höchstarbeitszeit für Pflegekräfte auf 60 Wochenstunden angehoben wird, fließen 5.600.000.000€ in den Kauf neuer Kampfjets. Weiter steht in Planung den Rüstungsetat im Bundeshaushalt für das Jahr 2021 um 1,16 Milliarden zu erhören. Dieses Geld würde reichen um, allen Studierenden, die Anspruch auf Soforthilfen haben, das fünffache auszuzahlen und gleichzeitig das Jahresgehalt von über 11.000 Krankenpfleger*innen zu decken. Auch im Ausland verheißt eine größere Rolle der Bundeswehr nichts Gutes: Auslandseinsätze sichern nicht den Frieden, sondern die Rohstoffausbeutung unter korrupten Regierungen. In Mali hat das letztlich einen Putsch befördert (Wiedemann, Blätter, 10/2020). Weder andere Länder noch Deutschland selbst brauchen jetzt mehr deutsches Militär! Wir fordern das Ende der Bundeswehr Auslandseinsätze und die Umleitung von Rüstungsgeldern in den Gesundheitsbereich!

2.1 Lage des SDS nach dem Corona-Jahr 2020

Durch die zugespitzten Widersprüche haben sich viele junge Menschen politisiert. Dies zeigt sich auch im SDS in einem Mitgliederzuwachs von 10 Prozent im November 2020 gegenüber September selben Jahres. Über 700 Studierende streiten unter unserer Fahne für eine bessere Zukunft! Neben Neugründungen von Hochschulgruppen – zunehmend auch an Fachhochschulen – und dem stärkeren Zusammenschluss von Landesverbänden haben vor allem die Bundesarbeitskreise als thematische Gruppen einen Anstieg an Aktiven und Projekten zu verzeichnen. Die Semesterzeitung ‚Critica‘ erzielte im Wintersemester 2020/21 eine Rekordauflage und wurde einer Ausgabe der linken Tageszeitung junge Welt beigelegt. Auch unsere digitale Infrastruktur konnten wir den Notwendigkeiten des Lockdowns anpassen. Mit vielen neuen Gesichtern in unseren Reihen stehen wir verbandsintern vor der Herausforderung, inhaltliches, organisatorisches und verbandskulturelles Wissen weiterzugeben und dabei weiterzuentwickeln. Durch Bildungsseminare, Aktivist*innenschulungen und andere inhaltliche Veranstaltungsformate wollen wir das Wissen und die Erfahrung in unseren Reihen auf möglichst vielen Schultern verteilen – und dabei auch vergrößern.

2.2 Rolle des SDS in Partei und Wahlkampf 2021

Mit dem Ende der Ära Merkel verstärken sich viele Unsicherheiten. Sind wir eine Generation, die sich zufrieden gibt mit einem grün angestrichenen Kapitalismus in der Form von schwarz-grün, solange die AFD nicht regiert? Wir sind Teil einer politisierten Generation, die als Verlierer*innen aus diesem Krisenjahr gehen. Nach unserem Studium sind wir entweder arbeitslos oder prekär beschäftigt. Das erste Mal in der Nachkriegsgeschichte werden wir materiell schlechter dastehen als unsere Elterngeneration. Als sozialistische Studierende sind wir zwar in der Lage, an den Hochschulen zu wirken, aber wir haben kaum ökonomische Macht. Daher sind wir auf Bündnisse mit anderen Teilen der Arbeiter*innenklasse angewiesen. Als sozialistische Kraft an den Hochschulen müssen wir Diskussionen anstoßen und Gegenentwürfe zur jetzigen Hegemonie aufstellen. Dazu braucht es die Vermittlung marxistischer Grundlagen, systematische Kontextualisierung der Vielfachkrise, eine klare Strategie sowie eine ausformulierte Zielvorstellung. Genau deshalb sollten wir uns 2021 auf die Zusammenarbeit mit den zahlreichen Bewegungen und gewerkschaftliche Tarifauseinandersetzungen wie TVN, FFF, BLM, DWE… konzentrieren und darauf aufbauen. Es ist Teil unserer antikapitalistischen, queerfeministischen und antirassistischen Praxis, Menschen mit Diskriminierungserfahrungen im Kampf zu unterstützen und gemeinsame Praxis für Selbstreflexion zu nutzen. Gleichzeitig muss unsere politische Bildungsarbeit die Menschen bei ihren Lebensbedingungen abholen und gemeinsame Handlungsoptionen anzeigen.
Im kommenden Sommer bedeutet das auch im Zuge des Wahlkampfes Studierenden- und
hochschulpolitische Themen zu besetzen. Forderungen wie etwa die eines ausreichend
hohes, sanktionsfreies Studienhonorars für alle Studierende oder die Notwendigkeit
einer Abkehr der wettbewerbs- und marktorientierten Hochschulfinanzierung durch
Exzellenzstrategie und Hochschulpakt müssen Bestandteil einer SDS-Wahlstrategie sein.

2.3 Oppositionsarbeit

Die LINKE ist zurzeit nicht in der Lage, wahrhaftige Veränderungen in der Gesellschaft durch eine Regierungsbeteiligung durchzusetzen. Hierdurch wird deutlich, dass eine Fixierung auf bürgerliche Regierungen die Systemzwänge einer Klassengesellschaft nicht angreift. Überall, wo sie in Regierungsverantwortung stand, hat sie ihre Programmatik verraten. Schreckensbeispiele wie die Räumung der Liebig 34, einer queer-feministischen Hausbesetzung, oder die Privatisierung der Berliner S-Bahn sind nur ein Teil der Enttäuschungen. Als Teil der Partei müssen wir als Die Linke. SDS diese Politik kritisch analysieren und gegen sie Stellung beziehen – gemeinsam mit vielen engagierten LINKE-Genoss*innen in der Parteibasis (und auch solchen mit Parteiämtern oder öffentlichen Mandaten). Wir setzten uns mit den Beschäftigten im öffentlichen Dienst  für eine Wertschätzung ihrer Arbeit ein, kämpften mit Fridays for Future und ver.di für dringend nötige Investitionen in die grünen Jobs der Zukunft. Wir standen Seite an Seite mit Hausprojekten, Abrüstungsinitiativen und der #black-lives-matter-Bewegung. Die LINKE muss diese Kämpfe einen und als Akteurin auftreten, die die Gemeinsamkeit dieser Kämpfe in den Vordergrund stellt. Wir müssen in den Verteilungskämpfen den gemeinsamen Feind benennen und gegen Austeritätsmaßnahmen im öffentlichen Sektor kämpfen. Die politische Stimmung und Aufmerksamkeit der Bundestagswahl muss Die LINKE nutzen, um als Bewegungsorganisation aufzutreten. Hier ergibt sich für das nächste Jahr eine Handlungsoption für den SDS: Wir können Die LINKE und die Bewegungen, in denen wir aktiv sind, verknüpfen und diesem Anspruch gerecht werden. Uns ist klar: Eine Veränderung entsteht nicht über einen Regierungswechsel im Staatsapparat, bei dem Die LINKE jegliche Grundsätze verliert. Es ergibt durchaus Sinn, als bewegungsorientierte Partei, parlamentarisch aufzutreten. Hier kann Die LINKE die Stimme der Bewegungen im Parlament sein. Jetzige Regierungsbeteiligungen waren das nicht. Sie waren lediglich systemerhaltend, am unverrückbaren Dogma der Wettbewerbsfähigkeit und der deutschen imperialen Produktions- und Lebensweise. Die Partei muss der Ort sein, an dem jetzt schon relevante Veränderungen erkämpft werden, aber diese dürfen nicht systemstabilisierend sein, sondern müssen eingebettet sein in eine sozial-ökologische Transformation. In Opposition zu den überkommenen neoliberal-kapitalistischen Verhältnissen muss DIE LINKE sozialistische Partei als lernende und planende Organisation der/für 99 Prozent sein. Die LINKE muss „Meinungsbildungszentrum und Führungsstab der Arbeitnehmer in ihrem politisch-sozialen Gegensatz zum Finanzkapital“ (W. Abendroth) sein. Statt zu einem Wahlverein zu verkommen, setzen wir auf Bildungs-, Diskussions-, und Kulturveranstaltungen zur Qualifizierung und politische Aktivität zur Verbesserung der Lebens- und Kampfbedingungen aller, weil wir nur als sozialistische Partei, kritische Wissenschaft, kämpferische Gewerkschaft und soziale Bewegung Verbesserungen durchsetzen können – Opposition wirkt.

Für die Aufgaben der kommenden Zeit vertiefen wir die Kritik am bürgerlichen Parlamentsbetrieb als Aufrechterhaltung der kapitalistischen Machtverhältnisse und Integration kritischer Stimmen. Die LINKE hat auch einen parlamentarischen Arm, nicht umgekehrt. Wir wissen mit Wolfgang Abendroth und Ekkehard Lieberam darum, dass die Herausbildung einer Sozialschicht in einer sozialistischen Partei Gefahr und Herausforderung für die oppositionelle Orientierung ist.

Wie auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen darf das Ziel nicht die Wiederherstellung des Status vor der Pandemie sein. So war schon vor den unzureichenden Soforthilfen die Studienfinanzierung eine Katastrophe, schon vor dem digitalen-Lockdown war die Lehre in vielen Bereichen alles andere als kritisch und emanzipativ. Aufgabe des SDS sollte es deswegen in lokalen und überregionalen Bündnissen sein, bestehende Kämpfe gegen die aktuellen Missstände mit Widerstand gegen die systematischen Ursachen des unsozialen und neoliberalen Hochschulsystems zu verbinden.

2.4 Mehrfach-Krise, Mehrfach-Widerstand

Wenn ein Hambacher Forst plattgemacht wird, dann sind auf der einen Seite die Aktivist*innen – insbesondere sozialistische, anarchistische junge Frauen, die gleichzeitig in linken, queeren, grünen, feministischen Zusammenhängen aktiv sind, sich  antifaschistisch betätigen, in der Gewerkschaft arbeiten, Kontakt suchen zu den RWE Arbeiter*innen, zum Teil selbst solche sind. Junge Frauen, die in der Zerstörung des  Hambacher Forsts auch ein demokratisches Problem sehen: Niemand hat darüber abstimmen können. Die in der Zerstörung des Hambacher Forsts ein kapitalistisches Problem sehen: Die Konzerne wollen es so. Auf der anderen Seite sind besagte Konzernleute. Die betonen – wenn sie von der Presse geladen werden – dass es unfair sei, dass gerade junge Frauen, die durch ihre Sexyness die Leute betören würden, für die Umweltbewegung sprechen. Konzernleute, die jene Gutachter*innen und Anwält*innen stellen, die betonen, dass die Abholzung gut ist. Konzernleute, die gleichzeitig als CDU Politiker*innen betonen, dass im Interesse der Wirtschaft der Wald nicht stehen bleiben darf. Wir sehen: eine Personalunion der Aktivist*innen, eine Personalunion der Feinde. Demnach gilt für uns: Wenn wir eine sozial-ökologische Transformation wollen, müssen wir die Interessen der vielen vertreten. Lange Zeit galten die Klimagerechtigkeitsbewegung und Gewerkschaft als Feinde mit unüberwindbaren Interessenkonflikten, wie die Auseinandersetzungen zwischen Beschäftigten der Kohleindustrie und Ende-Gelände Aktivist*innen zeigten. Doch jene können sich zusammenschließen, ihre politische und  ökonomische Macht nutzen und gemeinsam Alternativkonzepte entwickeln – wie das Beispiel des Lucas-Plans zur Konversion der Rüstungsindustrie zeigt. Um das zu erreichen, muss die klassenpolitische Ausrichtung der Klimagerechtigkeitsbewegung vorangetrieben werden – ebenso wie die ökologische Ausrichtung der Gewerkschaften. Erste Schritte dafür hat die Kooperation in den Tarifverhandlungen im Nahverkehr unternommen. Durch diese Kampagne sind viele zu erfahrenen Organizer*innen geworden. Doch noch sind wir zu wenige. Wir müssen weiter die Selbstermächtigung und Radikalisierung von unten unterstützen. Denkprozesse müssen angestoßen und der Wunsch nach bedürfnisorientierter Produktion in der Gesellschaft geweckt werden. Die LINKE muss aufhören, nur an jene zu appellieren, die bereits Interesse an linken Themen haben oder sich intensiv engagieren. Wir müssen klar machen: Der ökologische Umbau darf nicht auf dem Rücken der Arbeitenden ausgetragen werden!

Wichtig wird in den kommenden Monaten die Organisierung von Mieter*innen sein. Die Corona-Pandemie hat die Wohnungsnot zugespitzt, da vielen das Einkommen weggebrochen ist. Andererseits lenken die Debatten um den Berliner Mietendeckel und das dortige Volksbegehren zur Enteignung von Wohnungskonzernen große Aufmerksamkeit auf die Thematik. Als SDS müssen wir Studierende und Mieter*inneninitiativen in Berührung bringen und Initiativen organisatorisch unterstützen. Kämpfe um bezahlbaren Wohnraum sind ebenso antikapitalistisch wie Kämpfe für die Rechte von Migrant*innen, BIPoC, Frauen und queere Menschen. Es geht nicht nur um kurzfristige Mobilisierung der Mieter*innen, sondern darum, sie dauerhaft zu organisieren, um die Wohnungsverwaltung in ihre Hand zu legen. Vor lauter Wahlkampf dürfen wir nicht vergessen, jene Menschen anzusprechen, die kein Wahlrecht haben oder nicht ausüben können, insbesondere migrantische Personen. Unsere Vernetzungen mit migrantischen Gruppen müssen gefestigt werden. Denn auch wenn sie im bürgerlichen Staat oft von politischer Teilhabe ausgeschlossen und in Prekarität  verwiesen werden, haben sie die Macht, mit Streiks, Protesten und anderen Aktionen das System zu destabilisieren. Wie wir bei Fridays For Future schon gesehen haben, kann der SDS in Bewegungen eine radikalisierende Rolle spielen. Diesen Anspruch müssen wir auch an unsere politische Arbeit in anderen Kämpfen stellen. Um diese Rolle jedoch möglichst überall wahrnehmen zu können, müssen wir auch innerhalb des Verbandes große Arbeit leisten. Insbesondere müssen wir reflektieren, welche Strukturen und Praktiken bestimmte Menschen davon abhalten, sich bei uns einzubringen oder uns als Verbündete zu sehen. Wir bekämpfen  Rassismus, Klassismus, Heterosexismus, Ableismus und Transphobie in der Welt, müssen dies aber genauso entschieden innerhalb des Verbandes tun. Dabei muss im Mittelpunkt stehen, solidarische Umgangsformen zu entwickeln, sensible Sprache zu normalisieren und unsere Debatten sprachlich und inhaltlich zugänglich zu gestalten. Es darf keinen Raum geben für Argumentationen, die die Perspektiven, Lebensrealitäten und Kulturgüter marginalisierter Gruppen in Frage stellen oder abwerten! Dafür ist ein großes Maß an Bildungsarbeit und Sensibilisierung notwendig. Um einen breit aufgestellten antikapitalistischen Kampf voranzubringen, müssen wir im Verband für vielfältige Lebensrealitäten und Widerstandsformen Raum schaffen.

2.5 Unsere Basisgruppen als Ort der Solidarität

In der für uns alle spürbaren Krise sind die SDS-Hochschulgruppen nun gefragt: Als Orte unmittelbarer Solidarität und Selbsthilfe unter Studierenden; zur kritischen Bildung und  Information; für politische Sammlung und Intervention. Wegen mehr Vereinzelung und Verelendung der Studierenden stehen sie aber auch unter höherer Belastung: Mehr Genoss*innen mit weniger Zeit und Energie; weniger neue Studis, die vorbeischauen; Unklarheiten, wo und wie getagt wird; u.v.m. Gerade jetzt müssen wir als Bundesverband zusammenhalten, uns in den Gruppen vor Ort unterstützen und Bildungs- und Aktionsmöglichkeiten teilen. Ohne eine starke, nachhaltige Verbandsbasis steht auch die  Bundespolitik des Verbands auf tönernen Füßen. Wir dürfen nun weder rein nach innen  arbeiten – noch auf Verschleiß von Kampagne zu Kampagne hüpfen. Es gilt, durch innerverbandliche Solidarität Kraft zu schöpfen für die Herausforderungen des kommenden Jahres – und umgekehrt aus den Kämpfen und Bewegungen viele neue Genoss*innen und Inspirationen für die weitere Entwicklung des Verbandes zu gewinnen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

A4. Gründung des BAK Internationalismus

Der Bundeskongress möge beschließen:

Der Bundeskongress unterstützt die Gründung des Bundesarbeitskreis Internationalismus und die internationale Zusammenarbeit des BAKs sowie des gesamten Verbandes mit  linken Jugend- und Studierendenorganisationen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

A5. Seminarwochenende: Linke Perspektiven auf und aus Osteuropa

Der Bundeskongress möge beschließen:

Die Linke. SDS organisiert im Jahr 2021 ein Seminarwochenende zum Thema „Linke  Perspektiven auf Osteuropa“. Das Seminar soll Einblicke in die historischen,  sozioökonomischen und geopolitischen Dimensionen der Region bieten. Eine Vernetzung mit linken Aktivist*innen aus verschiedenen osteuropäischen Staaten soll dabei angestrebt werden.

Mögliche Themen des Seminars könnten u.a. anderem sein:

Historisch:

  • Geschichte des „Ostblocks“
  • 68er in Osteuropa: Reformen und Gegenbewegung
  • Osteuropa nach 1989 – der Weg in die (abhängige) Marktwirtschaft
  • Jugoslawien-Kriege – und ihre Folgen
  • Ostdeutschland und Osteuropa – Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Entwicklung seit 1990

Aktuelle Bewegungen:

  • Belarus: Politischer Umsturz oder soziale Revolution?
  • «Neuen Linke» in Südosteuropa – Finanzkrise 2008 als Motor der antikapitalistischen Kritik
  • linke Bewegungen in Russland, Innenansicht
  • Frauenbewegung in Osteuropa
  • Aufstieg von rechten Parteien in Osteuropa (am Beispiel von Polen und Ungarn)
  • Arbeitskämpfe in Russland, Belarus und der Ukraine.

(Sozio-)Ökonomie in der osteuropäischen (Semi-)Peripherie:

  • Slowakei unter der SMER-Regierung
  • Lage der rumänischen Arbeiterklasse / Arbeitsmigration
  • Lage der Roma in Osteuropa
  • Neoliberalismus in Putins Russland

Geopolitische Konflikte:

  • Bergkarabach-Konflikt
  • Bergkarabach und die „Neue“-Türkei geopolitische Einordnung (großtürkische und neo-osmanische Politik von Erdogan, Verbindung mit der Eskalation mit Griechenland im Sommer, Lybien und Nordsyrien/Rojava)
  • NATO-Russland-Konflikt (ggf. Fokus auf Nord-Stream-II)
  • Bürgerkrieg in der Ukraine seit 2014
  • Werkbank, Arbeitskräftereservoir, Aufmarschgebiet? Zur Bedeutung von Osteuropa für die BRD
  • Moldawien, das vergessene (ärmste) Land Europas
  • Transnistrien-Konflikt
  • Westliche Interessenpolitik in Osteuropa und ihre Folgen.
  • Russlands geopolitische Interessen im Kaukasus und am Schwarzen Meer (u.a. Georgien, Krim, Moldau, Armenien,…)

Osteuropa „in“ der BRD:

  • Lage(n) von Saisonarbeiter*innen aus Osteuropa in der BRD
  • Braindrain von osteuropäischen Pflegekräften
  • Kriegsflüchtlinge der Jugoslawienkriege
  • „Die Linke“ und Osteuropa. Einladung zur Selbstreflexion

 

 

 

 

 

 

 

 

A11. Seminarwochenende zu friedens- und sicherheitspolitischen Themen

Der Bundeskongress möge beschließen:

Im Jahr 2021 soll ein Seminarwochenende zu friedens- und sicherheitspolitischen Themen stattfinden. Der Bundesvorstand wird beauftragt hierfür finanzielle Mittel bereitzustellen. Junge Menschen und insbesondere FINT*-Personen, sind in öffentlichen friedens- und sicherheitspolitischen Diskussionen noch viel zu wenig repräsentiert. Wie wichtig dies ist, zeigen uns zum Beispiel zivilgesellschaftliche Akteur*innen der Seenotrettung oder der Klimagerechtigkeitsbewegung. Wenn sich viele Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen in politische Diskurse einmischen und Verantwortung übernehmen, bereichert dies nicht nur politische, sondern auch gesellschaftliche Debatten und bringt Themen wieder an die Öffentlichkeit, die zu lange als unveränderlich wahrgenommen wurden. Ziel des Seminarwochenendes ist es, das friedenspolitische Bewusstsein des Verbandes zu stärken und Aktions- und Handlungsspielräume in der Hochschule oder in Bewegungen auf der Straße (bspw. Bündnisarbeit mit bestehenden zivilgesellschaftlichen Akteur*innen z.B. in Zivilklauselbündnissen) zu diskutieren. Des Weiteren soll uns das Seminar befähigen, in Zukunft an (internationalen) friedenspolitischen Diskussionen teilzunehmen, Statements zu aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen zu verfassen, uns öffentlich verstärkt gegen Aufrüstung und Waffenexporte zu engagieren und uns am Aufbau einer größeren, jungen, dynamischen Friedensbewegung zu beteiligen.

Erste Vorschläge für mögliche Themen wären folgende:

  • Block 1: Historische/Aktuelle Friedensbewegung und Theorien (bspw. Imperialismustheorie, Friedensstrategien)
  • Block 2: Zivilklausel, Abrüstung, Rüstungskontrolle
  • Block 3: Feministische/Intersektionale Perspektiven auf Außen- und Sicherheitspolitik
  • Block 4: Kapitalismus und Kriege, Flucht, Migration und Umweltzerstörungen

Für die genauere Ausarbeitung inhaltlicher Schwerpunkte sowie deren Umsetzung wird sich ein Organisationsteam gründen. Dieses ist für alle interessierten Menschen offen. Genauere Informationen werden über die SDS-Informationskanäle verbreitet.

A12 Ablehnung von IHRA-Arbeitsdefinition und 3D-Test

Der Bundeskongress möge beschließen:

Als SDS-Bundesverband lehnen wir den sogenannten »3D-Test für Antisemitismus« und  die »Arbeitsdefinition Antisemitismus (IHRA)« aufgrund von systematischen Lücken, mangelnder Klarheit der Formulierungen sowie widersprüchlichen und fehleranfälligen  Anwendungspraxen ab. Unsere Entscheidung beruht auf dem wissenschaftlichen  Gutachten des Antisemitismusforschers Dr. Peter Ullrich für die Rosa-Luxemburg-Stiftung.  Es verdeutlicht, dass solche unpräzisen Definitionen für Einschränkungen demokratischer Grundprinzipien wie des Rechts auf Meinungsfreiheit und anderweitige politische Instrumentalisierung missbraucht werden können. Eine anerkannte institutionalisierte Alternative bietet die ICERD-Definition. Unabhängige marxistische Antisemitismus Definitionen sind aber für einen effektiven Kampf gegen Antisemitismus das erstrebenswerteste Ziel.

Wir sehen dabei die folgenden Prinzipien als wesentlich an:

  1. Der Kampf gegen Antisemitismus muss im Rahmen des internationalen Rechts und der

Menschenrechte stattfinden. Er sollte fester Bestandteil im Kampf gegen alle Formen von

Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sein, dazu gehören auch Islamophobie und Rassismus gegen Araber*innen und Palästinenser*innen. Ziel dieses Kampfes ist es, allen unterdrückten Gruppen Freiheit und Emanzipation zu garantieren. Er wird aber zur Farce, wenn damit ein repressiver und expansionistischer Staat verteidigt wird.

  1. Es besteht ein großer Unterschied zwischen einer Situation, in der Juden und Jüdinnen als Minderheit von antisemitischen Regimes oder Gruppen ausgesondert, unterdrückt und getötet werden oder einer Situation, in der das Selbstbestimmungsrecht der jüdischen Bevölkerung in Palästina/Israel in Form eines ethnisch exklusiven und expansionistischen Staates durchgesetzt wird. In seiner aktuellen Form basiert der Staat Israel darauf, einen Großteil der autochthonen Bevölkerung entwurzelt zu haben – was Palästinenser*innen und Araber*innen als Nakba bezeichnen – und jene, die weiterhin auf dem Gebiet des historischen Palästina leben, entweder als Bürger*innen zweiter Klasse zu behandeln oder der Besatzung auszuliefern und ihnen so ihr Recht auf Selbstbestimmung zu verweigern.
  1. Die Antisemitismusdefinition der IHRA und die damit verbundenen gesetzlichen Maßnahmen, die zahlreiche Länder verabschiedet haben, wurden vor allem gegen linke Gruppen und Menschenrechtsorganisationen angewandt, die die Rechte der Palästinenser*innen und die Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen-Kampagne (BDS) unterstützen. Dadurch wird die sehr reale Bedrohung, die für Juden und Jüdinnen von rechtsextremen weißen ethno-nationalistischen Bewegungen in Europa und den USA ausgeht, in den Hintergrund gedrängt. Der Versuch, die BDS- Kampagne als antisemitisch darzustellen, ist eine grobe Verzerrung dessen, was grundsätzlich eine legitime und gewaltfreie Kampagne für die Rechte der Palästinenser*innen ist.
  1. Die IHRA-Definition, die in ihrem Statement das folgende Beispiel als antisemitisch bezeichnet, ist recht merkwürdig: „Das Aberkennen des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, z.B. durch die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen“. Unberücksichtigt bleibt in dieser Aussage, dass der Staat Israel in seiner aktuellen Form nach internationalem Recht seit über einem halben Jahrhundert als Besatzungsmacht bezeichnet wird. Das wird auch selbst von den Regierungen anerkannt, die die IHRA-Definition übernommen haben. Unberücksichtigt bleibt in der Definition auch, ob dieses Recht die Schaffung einer jüdischen Mehrheit mittels ethnischer Säuberungen mit einschließt oder ob es mit den Rechten der palästinensischen Bevölkerung in Einklang gebracht werden müsste. Darüber hinaus werden in der IHRA-Definition potenziell alle nichtzionistischen Zukunftsvisionen des israelischen Staates als antisemitisch verworfen, wie etwa das Eintreten für einen binationalen oder säkular-demokratischen Staat, der alle seine Bürger*innen gleichermaßen vertrete. Wer sich aber wirklich für das Selbstbestimmungsrecht der Völker einsetzt, kann weder die Palästinenser*innen noch andere davon ausschließen.
  1. Wir glauben, dass kein Recht auf Selbstbestimmung ein Recht miteinschließen sollte, eine andere Bevölkerungsgruppe zu entwurzeln und sie daran zu hindern, in ihr Land zurückzukehren noch Maßnahmen zur Herstellung demographischer Mehrheit innerhalb des Staates. Die Forderung der Palästinenser*innen auf ihr Recht in das Land zurückzukehren, aus dem sie selbst, ihre Eltern und Großeltern vertrieben worden sind, kann nicht als antisemitisch ausgelegt werden. Der Umstand, dass eine solche Forderung unter Israelis Ängste auslöst, beweist weder, dass sie ungerechtfertigt noch, dass sie antisemitisch ist. Es ist vielmehr ein Recht, das durch die Resolution 194 der Generalversammlung der Vereinten Nationen von 1948 im Völkerrecht verbrieft ist.
  1. Dass jemand allein deshalb des Antisemitismus beschuldigt wird, weil er oder sie den Staat Israel in seiner aktuellen Form als rassistisch bezeichnet, ungeachtet kontinuierlicher institutioneller und konstitutioneller Diskriminierung, bedeutet dem Staat Israel volle Immunität zu gewähren. Der Staat Israel kann seine palästinensischen Mitbürger*innen ausweisen, ihnen die Staatsbürgerschaft entziehen oder ihnen das Wahlrecht verwehren und trotzdem vor dem Vorwurf des Rassismus geschützt sein. Die Definition der IHRA und ihre Instrumentalisierung verhindern jegliche Diskussion über Israel als einen Staat, der auf ethno-religiöser Diskriminierung beruht. Damit widerspricht sie einer elementaren Gerechtigkeit und grundlegenden Normen des Menschen- und Völkerrechts.
  1. Wir glauben, dass Gerechtigkeit die volle Unterstützung des Selbstbestimmungsrechts der Palästinenser*innen erfordert. Das betrifft auch die Forderung nach dem Ende der international anerkannten Besatzung ihrer Gebiete, dem Ende der Staatenlosigkeit und des Leids der palästinensischen Flüchtlinge. Die Unterdrückung palästinensischer Rechte nach der IHRA-Definition verrät eine Haltung, die jüdische Privilegien statt jüdischer Rechte in Palästina aufrechterhält und eine jüdische Vormachtstellung gegenüber Palästinenser*innen statt jüdischer Sicherheit. Wir glauben, dass menschliche Werte und Menschenrechte unteilbar sind und dass der Widerstand gegen Antisemitismus Hand in Hand gehen muss mit dem Kampf für Würde, Gleichberechtigung und Emanzipation aller unterdrückter Völker und Gruppen.

A13 Rosa-Luxemburg-Konferenz und Luxemburg-Liebknecht-Demonstration

Der Bundeskongress möge beschließen:

– Die Linke. SDS unterstützt die XXVI. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz am 9. Januar 2021 in Berlin – hierbei insbesondere den diesjährigen Versuch ihres Online-Streamings.

– Die Linke. SDS unterstützt die alljährliche Luxemburg-Liebknecht-Demonstration am 10. Januar 2021 in Berlin und erstattet – unter finanziellem Vorbehalt – die Fahrtkosten für Anreisende.

– Die Linke. SDS unterstützt weitere Formate, um am 9./10. Januar 2021 den Sozialist*innen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu gedenken.

 

 

 

 

 

 

 

A14. Wochenendseminar: Zur Rolle der Wissenschaften in der bürgerlichen Gesellschaft

Der Bundeskongress möge beschließen:

Die Linke.SDS veranstaltet im ersten Halbjahr 2021 ein Wochenendseminar Zur Rolle der Wissenschaften in der bürgerlichen Gesellschaft. Dafür unterstützt der Bundesvorstand die Bildung einer verbandsöffentlichen Organisations und Planungsgruppe. Die Teilnahme am Seminarwochenende wird durch Übernahme der Fahrt- und Übernachtungskosten durch den Bundesverband gefördert.

Das Ziel des Seminars ist die Reflexion der Voraussetzungen und Funktionen des eigenen wissenschaftlichen Handelns in der Gesellschaft. Um dies zu erreichen werden im Seminar (einige der) folgende(n) Themen bearbeitet:

  • Abhängigkeit der Wissenschaft von ihrem jeweiligen historisch-gesellschaftlichen Hintergrund: Antike, Feudalismus, Bürgertum, Sozialismus.
  • Rolle der Wissenschaft im (Re-)Produktionsprozess der Gesellschaft: Produktivkraftsteigerung, Herrschaftswissen, Ideologie
  • Soziale Lage der wissenschaftlichen Akteure
  • Handlungsspielräume der wissenschaftlichen Akteure als Folge ihrer gesellschaftlichen Positionierung
  • Aufsteigen vom Abstrakten zum Konkreten: Gibt es eine spezifische Methodik kritischer Wissenschaft?

Aus den Erkenntnissen aus dem Seminar soll eine schriftliche Veröffentlichung des Verbandes hervorgehen.

– http://www.jungewelt.de/rlk/

– http://www.ll-demo.de/

A16 Aufruf zum regelmäßigen Austausch zum Solidarsemester der SDS-Gruppen mit AStA-Beteiligung

Der Bundeskongress möge beschließen:

Der Bundeskongress möge beschließen, dass sich zum Austausch und zur  Strategieentwicklung in Bezug auf das Solidarsemester regelmäßige Treffen von SDS Gruppen etablieren. Die Treffen sollen selbstverständlich verbandsoffensein, der Fokus soll aber vornehmlich darauf liegen SDS-Gruppen mit Beteiligung in hochschulpolitischen Gremien zu vernetzten. Seit nun über einem halben Jahr besteht der Zusammenschluss Solidarsemester. Dies ist ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Hochschulgruppen und Asten, das mit einem umfangreichen Forderungskatalog die Hochschulen nachhaltiger, demokratischer und sozialer ausgestalten will. Hierbei liegt der Fokus vor allem auf die erschwerte Situation für Studierende, Wissenschaftler*innen und Beschäftigte durch die aktuelle Pandemie. Wir sind selbstverständlich als sozialistischer Studierendenverband Teil dieses Bündnisses. Wir haben die Forderungen mit ausgearbeitet und sollten uns weiter für die Durchsetzung dieser stark machen. Gerade die SDS-Gruppen, die in Asten beteiligt sind, haben einen großen Hebel, um den sozialpolitischen Forderungen des Solidarsemesters, wie beispielsweise der Ausbau der Nothilfen für Studierende, die Öffnung des Bafögs, die Abschaffung der Regelstudienzeit, das Ende der strukturellen Unterfinanzierung der Hochschulen, Nachdruck zu verleihen. Druck können wir aufbauen, indem wir die Infrastruktur der studentischen Selbstverwaltung nutzen, um in einer Zeit massiver sozialer Verwerfungen eine bundesweite studentische Bewegung entstehen zu lassen. Die Bewegung ist hierbei ein notwendiges Element, denn bloße Pressemitteilungen, Beiträge auf Social Media oder Deals in irgendwelchen Hinterzimmern werden den aktuellen Forderungen nicht genügen Rückhalt geben, um auch nur kleine Erfolge zu erzielen. Als bundesweiter sozialistischer Verband können wir Keim dieser Bewegung sein und sie weiter in das Bündnis Solidarsemester und darüber hinaustragen. Wir müssen gemeinsam strukturiert und strategische in das Bündnis Solidarsemster hineinwirken. Damit wir das leisten können, müssen wir uns in einem ersten Schritt verständigen und ein gemeinsames Vorgehen entwickeln.

 

 

 

A17 Gemeinsam die Krise überwinden: Gegen die neoliberale Vereinzelungsideologie. Für progressive Kultur und eine solidarische Gesellschaft

 

Der Bundeskongress möge beschließen:

 

„Wir sind uns unserer Verantwortung sehr bewusst. […] eben auch unserer Verantwortung,  den Diskurs der Gesellschaft zu ermöglichen und mitzugestalten. Dies können wir  mindestens für die nächsten Wochen nicht mehr tun – und wer weiß, wie lange das so sein wird. Das schadet uns allen.

Gewünscht hätten wir uns einen politischen Gestaltungswillen, der aktiv nach Möglichkeiten  sucht, einer durch die strengen Kontaktbeschränkungen zunehmenden Vereinsamung alles  entgegenzusetzen, was entgegengesetzt werden kann: wichtige Orte der Lebendigkeit als Rettungsinseln in einer Zeit, die jedem Einzelnen so viel abverlangt. Stattdessen wird in  einem pauschalen Verhinderungsreflex, den wir kurzsichtig finden, diese kostbare  Möglichkeit vertan. […]  Vorhang zu und alle Fragen offen.“

Offener Brief des Staatstheaters Mainz zu Theaterschließungen im zweiten Corona Shutdown, 28.10.2020

Nach einem mehr oder weniger entspannten Sommer breitet sich seit Beginn der kalten Jahreszeit das Coronavirus wieder rasanter aus; nicht nur die Fallzahlen als solche, sondern auch die Zahlen an Intensivpatient:innen und Toten steigen. Klar ist: Ohne politisches Handeln lässt sich die Ausbreitung nicht stoppen und die soziale und finanzielle Abfederung aller Betroffenen nicht gewährleisten.

Als Reaktion auf die erhöhte Ausbreitung des Virus verhängten die Bundes- und Landesregierungen für die Zeit ab November einen „Lockdown Light“ – bis auf weiteres sind Kneipen, Theater, Museen, Jugendzentren, Amateuer-Sportclubs u.ä., wie im Frühjah schon, geschlossen. Viele Universitäten haben sich den zweiten Lockdown gleich selbst verhängt und befinden sich erneut in der digitalen Lehre. Während die Lohnabhängigen sich weiter in Großraumbüros anhusten und in Fleischfabriken auf engstem Raum kaputtarbeiten müssen, wird uns von Merkel, Söder und co erklärt, wir alle müssten uns gemeinsam anstrengen und solidarisch Verzicht auf nur scheinbar Verzichtbares üben.

 Das propagierte Unpolitischsei

Im November veröffentlichte die Bundesregierung gleich mehrere Werbespots, die sich an unsere Generation richten. Sie alle haben die gleiche Aussage: Wir alle könnten jetzt Held:innen sein, wenn wir alleine in unseren Wohnungen auf der Couch sitzen, Chips essen, Videospiele zocken und Pizza bestellen, wenn wir alle „nichts tun“. In der größten Krise seit Ende des zweiten Weltkriegs, in einer weltweiten Pandemie, in Zeiten erhöhter  Arbeitslosigkeit, steigender Konkurrenz, immer aggressiver werdenden Imperialismus,  aufgedeckten Nazistrukturen bei Polizei und Bundeswehr und der Gefahr der Etablierung  einer rassistisch, antisemitisch, sozialdarwinistisch und menschenfeindlich auftretenden  Bewegung namens „Querdenken“ sollen wir uns also nicht einmischen, nicht agieren, den kapitalistischen und neoliberalen Status Quo nicht angreifen.

Die Überwindung der Krise ist die Überwindung des Neoliberalismus

Nachdem sich der neoliberale Kapitalismus seit langem bereits in der Legitimationskrise befand, erleben wir die Verbreitung der dahinterstehenden Ideologie aggressiver denn je. Getreu der Erzählung der individuellen Anpassungspflicht zum Erhalt des Systems macht die Regierung uns klar, dass die Verantwortung zum Schutz der Gesellschaft nicht etwa bei der Politik liegt, die schleunigst den Gesundheitssektor rekommunalisieren und ausfinanzieren sollte, die Menschen sozial absichern sollte, die allen ein menschenwürdiges Wohnen und Leben zusichern sollte – egal ob sie einen EU-Pass besitzen oder nicht – und die Schwächsten dieser Gesellschaft am stärksten auffangen sollte. Tagtäglich wird versucht, uns einzutrichtern, dass diese Verantwortung in der Vernunft eines jeden Individuums läge: Auch in Zeiten der Krise sollen sich alle ganz vernünftig weiter den ganzen Tag kaputtarbeiten, krankmachen und demütigen lassen, aber bitte auf jeglichen Spaß, der irgendwo zusammen mit anderen Menschen aufkommen könnte, verzichten. Schließlich müsse die Wirtschaft aufrechterhalten werden – und solidarische Kollektive, die gegen den neoliberalen Status Quo wirken, sind da schädlich. Wir erleben den aggressiven Versuch von Rechts, Denunziantentum und Puritanismus wieder salonfähig zu machen und durch autoritäres Handeln zu erwirken.

Dabei sind Kultureinrichtungen, Bars, Jugendzentren, Sportclubs, Urlaubsziele und Partys nicht einfach Orte des verzichtbaren Spaßes und der Unvernunft. Sie sind Orte der Regeneration vom harten Lohnarbeitsalltag. Sie sind, genau wie auch Hochschulen und andere Bildungseinrichtungen, Zufluchtsorte aus der häuslichen und familiären Gewalt. Sie sind Orte des Zusammenkommens, des Austauschs, der Ideen, der Kreativität – all der Dinge, die eine politische, antineoliberale und menschliche Gesellschaft ausmachen und gegen ein System, das auf Individualismus, Ellenbogen und Vereinzelung gebaut ist, wirken können und müssen.

Nicht nur in Bezug auf „Querdenken“ macht das Comeback von Patriotismus und Autoritarismus einen erheblichen Teil der Strategie zum Umgang mit der Krise aus. Feindbilder sind schnell gefunden: Wenn es nicht das autoritäre China ist, dann sind es die angeblich Unvernünftigen, die Partygänger:innen, die Schwachen im eigenen Land. Die Botschaft: Ihr seid nicht Teil dieser Gemeinschaft.

Wir widersprechen dem Versuch einer Pervertierung des Solidaritätsbegriffs. Es kann nicht solidarisch sein, zu Hause zu bleiben, nichts zu tun, während der Kapitalismus ununterbrochen für das Elend auf dieser Welt verantwortlich ist. Die Konzentration auf das Gemeinsame, auf den Austausch, auf Einmischung ist nicht egoistisch, sie ist notwendig, um mit Vereinzelung zu brechen.

DIE LINKE und der SDS – Was tun in Zeiten der Krise?

„Es bedarf einer neuen Qualität der politischen und gewerkschaftlichen Organisiertheit und geistig-kulturellen Gegenwehr, um demnächst in der Krise die verschärften Angriffe der Herrschenden auf die sozialen und politischen Rechte der Lohnabhängigen abzuwehren. […] [D]ie Linken müssen sich gerade auch darauf einstellen, dass die Herrschenden in absehbarer Zeit verstärkt zu einer Politik der harten Hand übergehen und zu autoritären Formen der Herrschaft greifen. Das Bemühen, mit reaktionären und faschistischen  Massenbewegungen größeren Rückhalt in der breiten Bevölkerung zu finden, wird in der Krise stärker werden. Davon, ob es gelingt, dem eine Bewegung für die Verteidigung und den Ausbau sozialer und demokratischer Rechte, einschließlich der Forderung nach einem »sozial-ökologischen Umbruch« entgegenzusetzen, wird abhängen, ob die Linke ihrer politischen Verantwortung in der Krise gerecht werden kann.“

Volker Kühlow & Ekkehard Lieberam: „Linkes Wunschdenken“ in Junge Welt, 02.06.2020

Als Linke greifen wir seit Beginn der Pandemie die unzureichende soziale Absicherung der Arbeiterklasse unter den Bedingungen des Lockdowns an. Die Situation der Leiharbeiter:innen bei Tönnies wäre ohne kritischen Journalismus und konsequente Themensetzung von Links nie in den öffentlichen Diskurs gekommen. Doch die Aufgabe der Linken muss darüber hinausgehen. Das Ende dieser Krise, das Ende der Pandemie, das Ende von Krankheit und Tod kann nur mit einem Bruch der neoliberalen Ideologie und dem autoritären Krisenmanagement erwirkt werden und muss letztlich auch einen Bruch mit dem Kapitalismus bedeuten. Denn dieser war auch vor Corona tödlich.

Wir widersprechen dem konsequenten Versuch, die neoliberale TINA-Ideologie („There is no alternative“) in den Köpfen der Menschen wieder breit zu machen, nachdem sie mit Fridays for Future, Black Lives Matter und anderen progressiven Bewegungen zuletzt mehr und mehr bröckelte. Der zweite Lockdown, der für viele Monate anzuhalten droht, ist nicht alternativlos. Die Beschränkung der Kritik an den aktuellen Maßnahmen darauf, dass die parlamentarische Opposition diese nicht mitdiskutieren oder gar mitbeschließen konnte, ist unzureichend. Jede neu verhängte Einschränkung ist eine Reaktion auf Fallzahlen, die in die Höhe schnellen, weil andere notwendige Maßnahmen nicht umgesetzt wurden. DIE LINKE muss das deutlich machen, angreifen und für eine Verbesserung der Lebenssituation aller streiten. Dazu gehören die dezentrale Unterbringung von Geflüchteten, die Ausrüstung von Altenheimen mit ausreichend Schutzkleidung, regelmäßige Testungen von Risikogruppen und Pflegepersonal, die Öffnung kultureller und wissenschaftlicher Einrichtungen zur Arbeit an der Lösung der Krise, die Ausfinanzierung und Kommunalisierung des Gesundheitssektors.

Eine nunmehr rechte Bewegung wie „Querdenken“ muss im Keim erstickt werden. Dies geht nur mit der Bildung einer linken, antineoliberalen, solidarischen Gegenkultur. DIE LINKE muss sich stärker dafür einsetzen, dass die Krise nicht durch die vollkommene Einschränkung des privaten und kulturellen Lebens gelöst wird, während risikoreiche Wirtschaftszweige aus profitorientierten Gründen und auf Kosten der Arbeitenden offenbleiben. Wir brauchen einen gesellschaftlich und politisch solidarischen Umgang mit den Einschränkungen, wozu auch eine Umverteilung der Kosten gehört.

Sie muss die versuchte Pervertierung des Solidaritätsbegriffs bekämpfen und klar machen, dass die Schaffung eines kollektiven Bewusstseins und emanzipatorische Bewegungen notwendig ist, um die Krise sozial zu lösen. Zu Hause zu bleiben, autoritäre Politik zu bejubeln, andere zu denunzieren, Schuldige unter uns zu suchen und uns zu vereinzeln ist keine Alternative.

Ein Zurück zur Normalität vor der Corona-Pandemie, wie es Teile von „Querdenken“ fordern, ist keine Option. Umso wichtiger ist es, die Antwort von Links zu geben. Wir wissen, dass  dies nicht einfach wird. Unsere politischen Gegner:innen sind nicht in unseren Reihen zu finden. Linke Kritik am Status Quo zu diffamieren, wie es von den Herrschenden versucht wird, ist eine Einschüchterungsstrategie und die Verteidigung des kapitalistischen Status Quo.

Als Die Linke.SDS kämpfen wir deshalb dafür, dass die Partei DIE LINKE ihrer gesellschaftlichen und politischen Aufgabe nachkommt und die herrschenden Verhältnisse konsequent angreift – sei es anhand des Lockdowns, der unterfinanzierten öffentlichen Infrastruktur oder der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich. DIE LINKE ist die  Vertreterin der Ausgebeuteten, der Kranken und Schwachen, der Unzufriedenen und der scheinbar Vereinzelten.

 

 

 

 

 

 

 

 

A19: Raus der Krise heißt raus aus dem neoliberalen Kapitalismus: Kritische Wissenschaft und emanzipatorische Bildung statt unternehmerische Hochschule

„Die marktorientierte Landwirtschaft und Konzerne dringen in die letzten Urwälder vor. Mehr als 60 Prozent der neuen humanen Erreger stammen von Wildtieren. Komplexe  Ökosysteme wie Regenwälder halten solche Viren in Schach und begrenzen ihre  Ausbreitung. Wird Biodiversität vernichtet, springen Erreger auf Menschen und Nutztiere vor Ort über. Von dort gelangen sie in das globale Reisenetzwerk und in kurzer Zeit von einer Höhle in China nach Miami Beach. Es sind globale Kapital- und Warenströme, die die Entwaldung, die industrielle Landwirtschaft und Fleischproduktion vorantreiben – und damit die Entstehung neuer Krankheiten.“ (Rob Wallace, DER FREITAG, 2. November 2020)

„Das ist eine sehr sehr schwere Zeit, die von uns keiner voraussehen konnte und die sich auch kein Mensch gewünscht hat. Ich kann Unmut verstehen, muss aber trotzdem für Akzeptanz werben, weil wir keine andere Variante haben. […] Aber es ist ja nicht ein politischer Beschluss, den wir gefasst haben, sondern es ist so etwas wie ein Naturereignis, eine Naturkatastrophe, mit der wir umgehen“ (Angela Merkel, Bundespressekonferenz, 2.November 2020)

„Mit der Einsicht in den Zusammenhang stürzt, vor dem praktischen Zusammensturz, aller theoretischer Glaube in die permanente Notwendigkeit der bestehenden Zustände. Es ist also absolutes Interesse der herrschenden Klasse, die gedankenlose Konfusion zu verewigen.“ (Karl Marx an Kugelmann, 11. Juli 1868)

In der tiefgreifenden gesellschaftlichen Krise – ökonomisch, politisch und sozial – tritt offen zu tage, dass der neoliberale Dreiklang aus Privatisierung, Demokratie- und Sozialstaatsabbau nicht nur keine Antwort auf die drängenden Probleme weltweit ist, sondern diese wesentlich hervorgebracht hat und sie mit jedem weiteren Schritt verschärft. Zur Ablenkung von der gemeinsamen Lösung dieser strukturellen, politischen wie sozial ökonomischen Verwerfungen wird noch einmal das neoliberale Gift der Eigenverantwortung und Alternativlosigkeit versprüht. Mit dem aktuellen Lockdown von Wissenschafts-, Kultur-, Kunst-, Sport-, Freizeit und Gastronomieeinrichtungen sollen die neoliberalen Macht- und Eigentumsverhältnisse gerettet werden und wir alle aufs bloße Produzieren, Konsumieren und Beten eingedämmt werden. Dagegen kann und muss von progressiver Seite ein tiefgreifender sozial-ökologischer (z.B. durch Demokratisierung der Arbeit) und friedenspolitischer Systemwechsel (z.B. durch weltweiten Waffenstillstand und Beendigung aller ziviler Wirtschaftssanktionen) vorangetrieben werden, worin erst eine menschenwürdige Gesellschaft gebildet werden kann und alle Menschen die  Lebensverhältnisse bewusst gestalten und ihre Persönlichkeit solidarisch entfalten können. Es kommt auf jede*n an!

Bildung, Wissenschaft und Kultur sind in diesem Sinne systemrelevant und systemänderungsrelevant: Der Kampf um die Wissenschaft ist der Kampf um die Deutung der aktuellen Krise als polit-ökonomische und damit überwindbare Krise statt der versuchten Verklärung als Naturkatastrophe oder Kriegsrhetorik. Der Kampf um die Bildung mündiger Persönlichkeiten ist der Kampf um das Begreifen der eigenen kollektiven, geschichtlichen Handlungsfähigkeit entgegen Vereinzelung und Passivierung. Kritische Wissenschaft und emanzipatorische Bildung können durch Aufklärung und Lösungserarbeitung, durch Solidarität und Geschichtsbewusstsein zum tiefgreifenden Systemwechsel erheblich beitragen.

Dementgegen wird mit dem aktuellen Lockdown (insbesondere) der Hochschulen und dem verordneten „Digitalsemester“ dieses positive Potential der Wissenschaft weiter eingeschränkt, die Vereinzelung vorangetrieben, die soziale Existenzgrundlage von Studierenden zerstört, die Prüfungsfixierung verschärft und somit versucht, das neoliberale Hochschul- und Studiensystem zu retten und damit zu steigern – mit verhängter Zwangs Digitalisierung zur Freude von Bertelsmann, zoom, Microsoft und Co. KG. So wird im Brennglas deutlich, was vor der Krise schon ein Problem war. Die Klassenauseinandersetzung tobt in der Wissenschaft zwischen Anpassung an  Verwertbarkeit oder Emanzipation. Dabei haben wir es in der Hand, den Widerspruch zwischen Produktivkraftentwicklung und Produktionsverhältnissen positiv aufzuheben:

„Einerseits wächst mit den Produktivkräften auch der Bedarf an wissenschaftlich  qualifizierten Arbeitskräften, die neue Technologien entwickeln und bedienen können, an Sozialtechnologen, die die aus dem verschärften Widerspruch zwischen der Vergesellschaftung der Produktion und den privaten Formen der Aneignung und Verfügung entstehenden neuen sozialen Spannungen bewältigen helfen, usw. Andererseits aber wächst mit der im Kapitalinteresse notwendigen Verbesserung der Ausbildung zur Höherqualifikation von Arbeitskräften in verschiedenen Ebenen und Bereichen gleichzeitig das kritische Potential; Denken und Urteilskraft haben in sich die Tendenz zum Hinterfragen immer weiterer Voraussetzungen, und wachsendes Wissen ist immer auch die wachsende Einsicht in die Notwendigkeit von noch mehr und noch genauerem Wissen und fördert die Erkenntnis des Zusammenhangs von Wissen und Macht zur Bestimmung über die eigenen Lebensverhältnisse.“

Prof. Dr. Klaus Holzkamp (Kritische Psychologie), „Die Situation an den Hochschulen und die Notwendigkeit einer Wende“, auf HoPo-Konferenz des BdWi an der Uni Hamburg, Audimax 1977. S. 400f

Zur Eindämmung dieses Grunddilemmas wird seit den 1960er Jahren von Kapitalseite versucht, die notwendige soziale Öffnung der Hochschulen mit der Etablierung einer Trennung von Masse und Elite zu verbinden. Unter Ausnutzung der politisch hergestellten Unterfinanzierung und der ideologischen Erzählung der EU-Integration drückte das  ökonomische und politische Establishment im neoliberalen Turbo der 90er Jahre die  Orientierung an Arbeitsmarkt- und Kapitalverwertung verstärkt in die Hochschulen. In der Lissabon-Strategie“ der EU aus dem Jahr 2000 wird Wissenschaft und Bildung zum  Standortfaktor pervertiert, die EU „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten  wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen“. Auch in der Bologna-Erklärung, die die EU-weite Bachelor-Master-Quälerei einleitete, ist als Ziel ausgegeben, „die arbeitsmarktrelevanten Qualifikationen der europäischen Bürger ebenso die internationale Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Hochschulsystems zu fördern.“

Damit sollte die von den 1968ern mit sozialistischem, antifaschistischem und friedenspolitischem Impetus erkämpfte Demokratisierung und soziale Öffnung der Hochschulen, die Politisierung der Wissenschaft (»Marx an die Uni«) und die Verwissenschaftlichung (Projektstudium) sowie soziale Sicherung (BAföG) des Studiums zurückgedreht und verwertungskonform degeneriert werden.

Doch der paradoxe Versuch, die Notwendigkeit allgemeiner Höherqualifizierung bei gleichzeitiger Unterbindung erweiterter emanzipatorischer Ansprüche durch Bildung, Wissenschaft, Kultur ist zum Scheitern verurteilt. Schlau-dumm geht nicht. So haben sich in den zurückliegenden Jahren, Monaten und Wochen zahlreiche Aktive als Studierendenbewegung für grundlegende Reformen aufgemacht: allgemeine Studiengebühren sind wieder abgeschafft. Gegen die Refeudalisierung der  Organisationsstruktur sind zaghafte Demokratisierungen in einigen Hochschulgesetzen  errungen worden. Zivilklauseln konnten zahlreich in Grundordnungen und  Hochschulgesetze gegen die blinde Verwertungsorientierung reingekämpft werden. Gegen die sog. „Exzellenzstrategie“ haben sich tausende Wissenschaftler*innen im Bundesgebiet  gegen die Drittmittelabhängigkeit positioniert. Initiativen für kritische Wissenschaft wie der bundesweite Zusammenschluss Plurale Ökonomik sind aktiv. Die soziale Frage wird anhand der Situation des wissenschaftlichen Mittelbaus und studentischer Beschäftigter neu politisiert.

Der Lockdown der Universitäten ist dagegen eine versuchte Verlängerung der „unternehmerischen Hochschule“ zur Verteidigung des neoliberalen Kapitalismus. In dessen Windschatten wird nun in einigen Bundesländern an autoritäreren und kommerzielleren Hochschulgesetzen gearbeitet und überall Kürzungen versucht, durchzudrücken und damit die Kosten der Krise auf den öffentlichen Sektor und die niedrigen Einkommensgruppen abzuwälzen. Ein durchgesetztes Ende der „unternehmerischen Hochschule“ und die Entfaltung kritischer Wissenschaft hat insofern für die humane Krisenlösung enorme Bedeutung. Raus aus der Krise heißt raus aus dem Neoliberalismus.

  1. a) Revitalisierung kritischer Wissenschaft

Statt in vereinzelter Bildschirm-Existenz das Publizieren und Antragsschreiben zu Drittmittel-, Exzellenz- und Verwertungszecken zu verschärfen, muss es aktuell um kritische Wissenschaft als vergesellschaftende Aufklärung über unsere kollektive Handlungsmacht entgegen Naturalisierungs-Mythen gehen. Grundsätzlich streiten wir für Wissenschaft, deren Aufgabe es ist, „die Mühseligkeit der menschlichen Existenz zu erleichtern“ (Brecht). Verantwortliche Wissenschaft arbeitet an der Lösung der zentralen Menschheitsprobleme (Sustainable Development Goals der UN). Wissenschaft zum Allgemeinwohl ist internationale Kooperation und Völkerverständigung. Kritische Wissenschaft ist Teil der  Friedensbewegung (Zivilklausel). Deswegen kämpfen wir für:

  • demokratische, gemeinwohlorientierte Forschungsförderung statt Exzellenzstrategie für Standortinteressen sowie gruppenparitätisch besetzte Berufungskommissionen
  • universitätsweite Themensemester, welche durch Zusammenarbeit unter einer gemeinsamen Fragestellung zur Lösung der drängenden gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit – ökologisch nachhaltiges Wirtschaften, Fluchtursachenbekämpfung, zivile Konfliktlösungen und soziale Ungleichheit – beitragen
  • Zivilklauseln und dafür, dass die Wissenschaft ihre Bedeutung bspw. für atomare und allgemeine Abrüstung und zivile Konfliktregulierung stärker wahr- und ernstnimmt und gesellschaftlich couragiert eingreift.
  1. b) Überwindung des restriktiven Ba/Ma-Systems

Entgegen des asynchronen Auswendiglernens von Belanglosigkeiten und Hausaufgaben Revival in zoom-Konferenzen kämpfen wir für die Abschaffung des restriktiven Bachelor Master-Systems für eingreifendes, forschendes und kooperatives Lernen an gesellschaftlichen Schlüsselproblemen. Wir kämpfen für eine Abschaffung des Ba/Ma Systems. Stattdessen muss eine Studienreform durchgesetzt werden, die neu die Möglichkeit für vertieftes Lernen, eine solidarische Lernkultur der gegenseitigen Begeisterung, für den kritischen Gesellschaftsbezug der Wissenschaften (gegen Verwertungsdogma und gegen Krieg) und mehr Muße für das politische Engagement in Hochschule und Gesellschaft schafft. Als Reformschritte kämpfen wir für:

  • Kombinierte Bachelor- und Masterzulassung bzw. Master als Regelabschluss.
  • exemplarisches statt kanonisches Lernen, u. a. durch Ausbau von Projektstudien, in denen über einen längeren Zeitraum kooperativ und in forschendem Lernen und lernendem Forschen eine Fragestellung mit gesellschaftlicher Bedeutung vertief werden kann.
  • massive Reduktion der Prüfungslast, damit Prüfungen zur Rückmeldung im Lernprozess statt Selektion für die Verwertung werden
  • Abschaffung von Creditpoints und Benotungen • Aufhebung der „Modularisierung“, damit gegen die Ideologie des abgeschlossenen einzuverleibenden „Wissenskanons“ die stete Weiterentwicklung der Wissenschaften als wechselseitiger Lehr-Lern-Prozess in einer dynamischen Welt zur Geltung kommt
  1. c) Soziale Öffnung der Hochschulen

Der Hauptzweck sozialer Prekarität durch Wohnungsnot, lächerlich niedriges BAföG,  „verdeckte“ Studiengebühren, Lohnsklaverei etc. ist die Erziehung zu Anpassung und  Unterwerfung. Dementgegen ist Studieren als gesellschaftlich notwendige Tätigkeit der  Realisierung des Grundrechts auf Bildung sowie Wissenschaft sozial emanzipatorisch  sicherzustellen. Die soziale Unbedrängtheit ist entscheidend dafür, dass wir Lernende als Subjekte der Bildung die Muße haben, uns als mündige Bürger*innen durch einen kritischen Gesellschaftsbezug in Studium und Lehre zu qualifizieren. Für diese Muße sowie eine neue soziale Öffnung der Hochschulen muss für die Erweiterung das BAföG zu einem elternunabhängigen zinslosen Vollzuschuss gekämpft werden – statt unzureichender Notdarlehen. Deswegen treten wir ein:

  • Abschaffung aller Studiengebühren für Ausländer*innen und „Langzeitstudierende“ sowie „Verwaltungs“gebühren.
  • Recht auf Wohnen durch die Ausfinanzierung und Demokratisierung der Studierendenwerke
  • Tarifverträge für alle studentischen Beschäftigten und unbefristete Stellen im wissenschaftlichen Mittelbau
  • Abschaffung des Numerus clausus und den Ausbau des Hochschulzugangs ohne Abitur
  • Stärkung der Orientierungseinheiten als integraler Bestandteil des Studiums, mit ausreichend Zeit für eine kritische Aneignung der Studienbedingungen in ihrer Veränderbarkeit, die Entwicklung erster selbstbewusster Ansprüche an Studium und Wissenschaft, eine Einsicht in die Bedeutung der Selbstverwaltung der Hochschule und in die Mitwirkungsmöglichkeiten sowie für das Kennenlernen von Mitstudierenden
  1. d) Demokratisierung der Wissenschaftsinstitutionen

Statt der Verschärfung von autokratischen Top-Down-Strukturen im Krisenstab-Modus muss eine massive (Re)Demokratisierung der Institutionen geben, die von dem Verständnis der Hochschulen als öffentliche Angelegenheit (res publica) ausgeht, in der die Mitglieder gleichberechtigt über die Entwicklung beraten und entscheiden. Die Klugheit von allen wird gebraucht. Die Abschaffung von Hochschulräten, die Reinstallation von akademischen  Gruppengremien, die Zuweisung der wesentlichen Entscheidungskompetenzen an diese Gremien, insbesondere die Konstituierung von gesamtinstitutionellen Grundsatzgremien, die Einführung von Viertelparitäten, die Reduktion von Leitungspersonen auf  Sprecherfunktionen und ihre demokratische Wahl von unten sind Eckpunkte einer solchen Demokratisierung.
Auch der Forschungsprozess selbst muss massiv demokratisiert werden. Dazu gehört
eine Abkehr weg vom jetztigen Modell, in dem vor allem Professor*innen Kontrolle über
Forschungsziele, Personaleinstellungen und weitere Prozesse an den Fakultäten haben,
hin zu einer von allen Beteiligten gestalteten Lehre und Forschung.

  1. e) Bedarfsdeckende öffentliche Finanzierung

Wir streiten für eine bedarfsdeckende öffentliche Finanzierung der Hochschulen einschließlich ihrer inhaltlichen Weiterentwicklung, sozialen Öffnung und Überwindung der Ba/Ma-Selektivität. Gemeinsam mit anderen öffentlichen Einrichtungen für Soziales, Bildung, Kultur und Gesundheit ist deshalb nachdrücklich für die Abschaffung der „Schuldenbremse“ zu kämpfen. Als weitere Schritte setzen wir uns ein für:

  • Abkehr von temporärer und wettbewerbsförmiger Mittelzuweisung (u. a. Drittmittel und Exzellenzstrategie) hin zu Dauermitteln
  • Demokratische Mittelvergabe anhand gesellschaftlicher Herausforderungen, wissenschaftlicher Fragestellung und Entwicklungsnotwendigkeiten statt leistungsbezogene und damit konkurrenzschürende Mittelvergabe Mit dieser Orientierung wollen wir in den Gremien der studentischen und akademischen Selbstverwaltung wirken, Aktionen auf den Hochschulcampus durchführen, Mitstreiter*innen mobilisieren und gemeinsam Verbesserungen durchsetzen. Wir suchen dafür die Zusammenarbeit mit dem fzs, Gewerkschaften, sowie anderen Mitgliedergruppen und progressiven Hochschulgruppen.

„Die Orientierung auf das Bündnis zwischen Studenten und Arbeiterklasse basiert auf gleichen oder zumindest gleichberechtigten Interessen beider Seiten, die vom gemeinsamen Gegner, dem Monopolkapital, angegriffen werden. (…) Eine weitere objektive Gemeinsamkeit besteht im Kampf um die Wissenschafts- und Forschungsinhalte selbst. Uns verbindet die Forderung nach einer Wissenschaft im Interesse der Bevölkerungsmehrheit, die Ablehnung beispielsweise von neuen Techniken zur Arbeitsplatzvernichtung oder des Einsatzes von Wissenschaft zur Vorbereitung von Kriegen. (…) Voraussetzung für das Bündnis mit der Arbeiterklasse und ihren Organisationen ist der eigenständige politische Kampf der Studentenschaft in ihrem eigenen Bereich, der Hochschule, (…). Unsere ,Gewerkschaft‘ ist quasi die Verfaßte Studentenschaft, unsere ,Betriebsräte‘ sind ASten und Fachschaften.“

MSB Spartakus, Bildungsthema WiSe 83/84: Die Politik der gewerkschaftlichen Orientierung. Entstehung, Theorie, Perspektiven

 

 

 

 

 

 

 

 

A20 Gegen die undemokratische Novelle des Baden-Württembergischen Landeshochschulgesetzes

Der Bundeskongress möge beschließen:

Der SDS Bundesverband verurteilt die von der grün-schwarzen Landesregierung geplanten Novellen des Landeshochschulgesetzes und Landesgebührenbeitragsgesetzes, die den undemokratischen und antiemanzipatorischen Umbau der Baden-Württembergischen Hochschulen weiter vorantreiben.

Keine Wiedereinführung des Ordnungsrechts!

Wir stellen uns gegen die geplante Wiedereinführung des Ordnungsrechts. Dieses ermöglicht Sanktionen bis hin zu Exmatrikulationsmaßnahmen durch Ordnungsgremien der Hochschulen. Dies kriminalisiert notwendigen Protest gegen die unsoziale und neoliberale Hochschul- und Wissenschaftslandschaft. Ob Hörsaal- und Rektoratsbesetzungen, Streikaktionen oder weitere Interventionen auf dem Campus, die herrschende Politik versucht Widerstand gegen die bestehenden Verhältnisse zu ersticken.

Keine Diskreditierung der Studienräte!

Wir stellen uns gegen die geplante Änderung, die die „Organisation der Legislativorgane“ in „parlamentarischen Strukturen“ festschreibt. Damit wird der von den Studierenden im Zuge der erst 2013 erkämpften Wiedeeinführung der Studierendenschaften selbstgewählte Organisationsform diskreditiert.

Keine Einführung weiterer Studiengebühren!

Wir stellen uns gegen den Plan, Zweitstudiengebühren auch nach Abschluss von parallel laufenden Studiengängen in anderen Bundesländern zu verlangen.

Kein Verschleierungsverbot!

Wir stellen uns gegen die geplante Möglichkeit eines Verschleierungsverbots. Mit Symbolpolitik wird hier versucht, antimuslimischem Rassismus entgegen zu kommen.

Nach der Einführung der Studiengebühren für Ausländische Studierende und solche im Zweitstudium 2017 und der schriftlichen Herabsetzung des politischen Mandates auf ein rein hochschulpolitisches im Zuge der Änderungen 2018 ist dies ein weiterer Schritt, studentische Demokratie und studentisches Engagement abzubauen.

Dieser Umbau fällt zusammen mit einer auch in anderen Bereichen elitistischen, kapitalstützenden-, und antidemokratischen Politik der Landesregierung. Hat sie mit der Ablehnung des Volksbegehrens für gebührenfreie Kitas sich auch gegen finanzielle Gerechtigkeit in der frühkindlichen Bildung gewährt, betreibt sie mit dem neuen Polizeiaufgabengesetz auch eine antidemokratische Politik der Einschüchterung von Demonstrierenden in gesamtgesellschaftlichen Kämpfen.

Als SDS kämpfen wir für ein soziales, demokratisches Bildungswesen ohne rassistische und patriarchale Diskriminierung.

Für das Landeshochschulgesetz fordert der SDS die Abschaffung aller  Studienbeiträge, auch der von allen Studierenden zu leisteten Verwaltungsgebühren, um Zugang zu Bildung und Wissenschaft für alle gewährleisten zu können. Weiter braucht es paritätisch besetze Hochschulgremien, die Öffentlichkeit dieser  und die Abschaffung der Hochschulräte als Institution des direkten Einflusses von wirtschaftlichen Akteuren auf Planungs- und Gestaltungsprozesse an der Hochschule. Weiter kämpfen wir für die Aufnahme einer zivil-ökologischen Klauseln im Landeshochschulgeset. Zudem braucht es gesetzliche Grundlagen, die eine demokratische Hochschulfinanzierung ermöglichen, welche eine Ausfinanzierung in allen Fächern sicher stellen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

A21 Ostdeutschland verstehen und ins Handeln kommen

Vorbemerkung:

Im September/Oktober 2020 fand die “Bildungsreise Ostdeutschland” statt. Daraus wurden von den Teilnehmer*innen Konsequenzen für eine spezifisch-ostdeutsche Politik des SDS gezogen.

Der Bundeskongress möge beschließen:

  1. Eine ostdeutsche Perspektive im Bundeswahlkampf 2021 zu stärken
  2. die Gründung eines Regionalverbands Ostdeutschland voranzubringen
  3. in den kommenden Jahren Wissen, Werkzeuge und Strukturen aufzubauen, die uns ein koordiniertes Einwirken in ostdetusche Auseinandersetzungen ermöglichen.

These 1: Rechtsextremismus in Ostdeutschland ist nicht monokausal.

 

Seit der Wende fällt der Osten aufgrund rechter Gewalt und Strukturen immer wieder negativ auf. Sei es durch eine dominierende rechte Jugendkultur, Pogrome in den 1990er-Jahren oder wegen des Erstarkens der “Neuen Rechten” in Form von PEGIDA, Pro Chemnitz, AfD oder auch NPD. Zeit ihres Bestehens rühmte sich die DDR für ihre antifaschistische und antirassistische Staatsdoktrin, jedoch blieb sie in der Realität weit hinter den eigenen Ansprüchen zurück. Es wäre unzureichend die DDR und ihren Antifaschismus rein auf die historisch gebrauchte Formel des »verordneten Antifaschismus« zu reduzieren, womit die Dimension eines real praktizierten Antifaschismus ausgeblendet werden würde. Jedoch glauben wir, dass eine kritische Aufarbeitung antifaschistischer Selbstinszenierung sowie Auseinandersetzung mit den Problemen in der DDR wie Rassismus gegenüber Vertragsarbeiter*innen wichtig ist, um zu einer differenzierten historischen Einordnung zu gelangen. Der antifaschistische Gründungsmythos der DDR und die Stilisierung der Mauer als antifaschistischer Schutzwall spielten dabei eine zentrale Rolle. Zugleich erfuhren Einwander*innen und Vertragsarbeiter*innen weder faire noch gleiche Behandlung, da sie systematisch von der deutschen Bevölkerung segregiert wurden (bspw. durch die zentrale Unterbringung in Wohnheimen oder Kontaktverboten zu DDR-Bürger*innen). Der Staat stellte sie in den meisten Fällen für unqualifizierte, monotone und schwerindustrielle Arbeiten ab, wodurch eine schlecht bezahlte und geringqualifizierte migrantische Arbeiter*innenklasse generiert wurde. Dieser kritische Blick ist ein wichtiger Baustein, wenn es darum geht ein Verständnis von der »Gewordenheit« der heutigen Verhältnisse im Osten, einschließlich seiner Probleme zu entwickeln.

Im Laufe der 1980er-Jahre entstand eine immer präsenter auftretende neonazistische Jugendkultur in Ostdeutschland, in der sich junge Menschen organisierten und radikalisierten. Aus dieser Szene entwickelten sich später Untergrundorganisationen und Terrorgruppen, die Pogrome und Angriffe auf migrantisch gelesene Personen sowie Anschläge auf sowjetische Truppen durchführten. Bis zur Wende 1989/90 konnten diese Strukturen gedeihen, nicht zuletzt aufgrund einer mangelnden Bekämpfung der Verhältnisse durch den DDR-Staat.

In den 1990er-Jahren kam es zu einem explosionsartigen Ausbruch von rechtsradikalen Gewalttaten und Pogromen. Die rechte Szene erlangte in vielen ostdeutschen Großstädten eine Hegemonialstellung auf der Straße und in der Jugendkultur. Für die sog. “Baseballschlägerjahre” stellten die Sozialisation sowie die Versäumnisse der DDR-Politik sicherlich den Ursprung der personellen Strukturen der neonazistischen Szene dar. Die Ursachen für den quantitativen und qualitativen Anstieg der Gewalt und Organisierung sind jedoch so allein nicht zu erklären. Stattdessen sind die Gründe vielfältig, fanden ihre Befeuerung aber vor allem in der kapitalistischen Transformation Ostdeutschlands und den dadurch entstandenen sozialen Verwerfungen nach der Wende und dem nationalistischen Taumel der Wendeereignisse selbst. Die fehlenden sozialen Perspektiven, die von der Bundesregierung vorgenommene Verschärfung des Asylrechts und die damit einhergehenden migrant*innenfeindliche Stimmung bildeten die Grundlage für das Gedeihen rechter Strukturen. (Die Debatte in der Transformationsforschung, in deren Rahmen dieses komplexe Thema behandelt wird, hat noch lange keinen Abschluss gefunden. Der Forschungsstand erweitert sich beständig. siehe Quent, Matthias: Sonderfall Ost – Normalfall West? Über die Gefahr, die Ursachen des Rechtsextremismus zu verschleiern.)

Auch um die Stärke der heutigen „Neuen Rechten“, wie PEGIDA, ProChemnitz oder der NPD- und AfD-Ortsverbände zu ergründen, reicht nicht ein Blick auf vierzig Jahre DDR Diktatur. Die Ursachen für diese Verhältnisse sind viel mehr in der näheren Vergangenheit der Wende-Jahre sowie aktuellen Ungleichheits- und Ausbeutungsverhältnissen zu suchen.

Diese Überlegungen sollte der SDS in seiner antirassistischen und antifaschistischen Arbeit in Ostdeutschland bedenken und dementsprechend sowohl migrantische Gruppen und Bündnisse als auch antifaschistische lokale Organisationen und Bildungsinitiativen unterstützen sowie die bis heute andauernde soziale Benachteiligung des Osten gegenüber dem Westen thematisieren.

These 2: Für eine politische Strategie in Ostdeutschland ist eine kritische  Auseinandersetzung mit den Geschehnissen der Treuhand unausweichlich. In der gängigen Erzählung wird der Prozess der Wende oftmals als “Glücksgriff” für den Osten dargestellt. Die Ostdeutschen erleben das Märchen der Wiedervereinigung und die marode Ost-Wirtschaft wird endlich markttauglich. Den realen Lebenserfahrungen der damals 16,43 Millionen Einwohner*innen der DDR entspricht diese Erzählung jedoch nicht. Die Treuhand, die 1990 am runden Tisch der SED-Kader und Bürger*inneninitiativen gegründet wurde, sollte dazu dienen die rund 8.000 volkseigenen Betriebe samt ihrer ca. 4 Mio. Beschäftigten zu schützen. Tatsächlich wurden die ostdeutschen Vertreter*innen

schnell aus den Spitzenpositionen der Treuhand AG verdrängt. An ihre Stelle traten westdeutsche Kapitaleigner*innen sowie Entsandte westdeutscher Großunternehmen. Länder, Belegschaften und Gewerkschaften blieben bei diesem Prozess exkludiert. Was 1991/92 folgte, waren rücksichtslose Privatisierungen, auf die schließlich die Zerschlagung zahlreicher Betriebe folgte. Rund 80% des Produktiv- und Immobilienvermögens gingen an den Westen, nur rund 5 % verblieben im Osten. Insgesamt 3 Millionen Arbeitsplätze gingen verloren. (Yana Milev (2019), Entkoppelte Gesellschaft – Ostdeutschland seit 1989/90, Band 2: Umbau) Die gesellschaftliche Stimmung eines “Aufbruchs in einen demokratischen Sozialismus” schwenkte schnell um in eine Reihe von Abwehrkämpfen um Arbeitsplätze sowie soziale und reproduktive Rechte. Betroffen waren vor allem Frauen, Vertragsarbeiter*innen, Ältere und Geringqualifizierte, deren beste Perspektive in einer Auswanderung in die alten Bundesländer bestand. Bereits im März 1991 begann sich ein breiter zivilgesellschaftlicher Protest unterschiedlichster Couleur gegen den “Ausverkauf des Ostens” zu formieren. Dezentral wurden hunderte Produktionsstätten besetzt, millionenfach zogen Ostdeutsche vor die Treuhandniederlassung in Berlin. Rund 1032 Protestaktionen begleiteten den Anfang der 1990er Jahre. Der Hungerstreik der Kali-Kumpel aus Bischofferode 1993 erregte zwar bundesweit mediale Aufmerksamkeit, doch die Möglichkeit gegen die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Ausdünnung vorzugehen, verlor sich aufgrund des Abflauens der breiten gesellschaftlichen Zustimmung nach dem Attentat auf Rohwedder 1991 in der Dezentralität und musste sich schließlich dem westlich-marktradikalen Einfluss vollends beugen. (Marcus Böick (2012), »Aufstand im Osten«? Sozialer und betrieblicher Protest gegen Treuhandanstalt und Wirtschaftsumbau in den frühen 1990er Jahren) Die hohe Arbeitslosigkeit und der Verlust der Einbindung in weitläufige Netzwerke aus Kultur-, Freizeit-, Bildungs- und Sozialeinrichtungen, wie sie zu DDR-Zeiten bestanden hatte, beschreibt ein kollektives Trauma der ostdeutschen Bevölkerung. Es folgten Massenabwanderung, sozialer Niedergang und die Verödung ganzer Regionen, deren Auswirkungen bis heute spürbar sind. (Yana Milev (2020), Das Treuhand-Trauma) Die Enttäuschung über den Verlauf dieser Ereignisse blieb jedoch erhalten und bietet einen Ansatzpunkt für weitere Prozesse, in denen um Anerkennung und Gerechtigkeit gestritten wird. Für unsere politische Strategie in Ostdeutschland ist es folglich unvermeidbar, die realen Erlebnisse als historischen Rahmen mitzudenken, um auf diese Weise an die geführten Kämpfe anzuknüpfen und aktuelle soziale Konflikte fortzuführen.

These 3: Für einen funktionierenden Strukturwandel in der Lausitz braucht es eine ökologische Klassenpolitik.

Die Kohlebranche ist ein Arbeitsfeld, in dem es nach der Wende zu einem drastischen Abbau von Arbeitsplätzen kam. Arbeiteten 1989 noch fast 80.000 Beschäftigte im Lausitzer Revier, waren es 1999 nur noch 8.000. (Bose, S. / Dörre, K. / Köster, J. / Lütten, J. (2020): Nach der Kohle II. Konflikte um Energie und regionale Entwicklung in der Lausitz. Studie im Auftrag der Rosa Luxemburg Stiftung) Das Wegfallen dieser Arbeitsplätze führte zu einer Massenabwanderung, was wiederum eine starke Veränderung des sozialen Lebens hervorrief. In Hoyerswerda wurden zwischen 1955 und 1990 beispielsweise riesige Wohnkomplexe für Arbeiter*innen des Braunkohleveredelungswerks Schwarze Pumpe gebaut. Nach der Wende verloren jedoch viele Menschen ihre Arbeit und mehr als die Hälfte der Einwohner*innen verließ die Stadt. So wurden 1999 bereits die ersten Plattenbauten wieder abgerissen. Noch heute sind die Arbeitsplätze bei der LEAG (Lausitz Energie Verwaltungs GmbH, Lausitz Energie Bergbau AG und der Lausitz Energie Kraftwerke AG) in der Lausitz sehr gefragt, da der Arbeitgeber einen überdurchschnittlichen Verdienst zahlt, der an gute Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen gekoppelt ist. Der Ausstieg aus der Braunkohle wird als Bedrohung der eigenen Existenz und als Kontrollverlust über das eigene Leben wahrgenommen. 10,6% der Bruttowertschöpfung kommen in der Lausitz aus der Kohleindustrie und 2,7% aller Erwerbstätigen sind bei der LEAG angestellt. (Bose, S. / Dörre, K. / Köster, J. / Lütten, J. (2020): Nach der Kohle II. Konflikte um Energie und regionale Entwicklung in der Lausitz. Studie im Auftrag der Rosa Luxemburg Stiftung) Die Beschäftigtenquote mag niedrig scheinen, ist jedoch von Bedeutung, da es wenige andere gut bezahlte und mitbestimmte Arbeitsangebote gibt. 10.000 bis 16.000 Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt von der Braunkohle ab. (9 DIE LINKE: Plan für eine lebenswerte Zukunft in Ostdeutschland) Der Strukturwandel konzentriert sich somit stark auf eine einzige Region. Der Konflikt zwischen Aktivist*innen der Klimabewegung und Kohlebeschäftigten spitzte sich in den letzten Jahren zu. Die LEAG ist für die Lausitz ein Betrieb, der nicht nur gute Arbeitsplätze bietet, sondern auch kulturelles Leben fördert und kommunale Finanzen aufstockt. Zudem sind Arbeiter*innen stolz auf die Tradition des Unternehmens. Der Wegfall dieser positiven Auswirkungen schafft für die meisten Bewohner*innen Angst vor Statusverlust und Zukunftslosigkeit der Region. Eine „Wende 2.0“ darf es nicht geben! Auf der anderen Seite fordern Kohlegegner*innen einen sofortigen Ausstieg aus der klimaschädlichen Braunkohle. Unverständnis für die jeweils andere Seite führt hier zu einer wechselseitigen Kommunikationsblockade, was den Weg zu einem sozialen und ökologischen Wandel deutlich erschwert. Was gebraucht wird, sind nicht nur Strukturhilfen für Umschulungen sondern vor allem auch Arbeitsplätze für die nächste Generation. Für einen funktionierenden Strukturwandel in der Lausitz braucht es eine ökologische Klassenpolitik, die den jetzigen Kohlebeschäftigten die Möglichkeit gibt, Alternativen für eine soziale und ökologische Entwicklung der Region zu finden. Nur so kann der anstehende Strukturwandel als Chance statt als Gefahr gesehen werden. Die Linke muss folglich eine oziale Politik vertreten ohne dabei ökologische Ziele aufzugeben.

These 4: In Ostdeutschland werden spezifische soziale Kämpfe geführt, die in einen gesamtdeutschen Klassenkampf eingeordnet werden müssen.

Pünktlich zum Jubiläum des Mauerfalls wurden 2019 die Lohnniveaus Ost- und Westdeutschlands von der Heins-Böckler-Stiftung verglichen. Die Ergebnisse zeigten nach wie vor eine große Ungleichheit in der Verteilung der Löhne. Das Lohnniveau in Ostdeutschland war demnach unbereinigt um 16,9 % geringer (eine Differenz von 7.440 €). Die bereinigte Quote betrug 8.4 %. Die Faktoren, die zur bereinigten Lohnquote führen, sprechen allerdings Bände. Zuerst sind wesentlich weniger Betriebe in Ostdeutschland tarifgebunden. In Sachsen werden nur 39% der Beschäftigten nach Tarif bezahlt, womit das Bundesland deutschlandweit das Schlusslicht bildet. Spitzenreiter hingegen ist Nordrhein-Westfalen mit 62% Tarifbindung. (Thorsten Schulten, Malte Lübker und Reinhard Bispinck: Tarifverträge und Tarifflucht in Sachsen, WSI-Study Nr.19, Mai 2019.) Die restlichen neuen Bundesländer listen sich direkt vor Sachsen auf. Ein weiterer Faktor ist außerdem der Gender Pay Gap. Durch die gezielte Politik der DDR in den Bereichen Gleichstellung, Kinderbetreuung und Produktion ist die Integration von Frauen in der Lohnarbeit weiter vorangeschritten, als dies im Westen der Fall ist. So arbeiten mehr Frauen (in Vollzeit), was jedoch in keiner Weise Gleichheit zwischen den Geschlechtern bedeutet. Im Osten, wie im Westen liegt der Großteil der Care-Arbeit bei Frauen, ob sie in Lohnarbeit tätig sind oder nicht. Ostdeutschland hält somit als Dumpinglohnsektor der BRD her, was auch spürbare Auswirkungen auf gewerkschaftliche Kämpfe im Westen hat. Die Unterschiede zwischen Ost und West betreffen aber nicht nur die Arbeitspolitik. In der DDR war der Wohnungsbau nach Bedarf ausgerichtet. Die Gelder dafür wurden bei der Staatsbank eingeholt. Nach dem Anschluss an die BRD wurden den Kommunen diese Gelder in Schulden umgemünzt, vom Verkauf der volkseigenen Betriebe sahen sie jedoch nicht einen Pfennig. Viele Kommunen privatisierten und zerstörten unter dem Einfluss des Neoliberalismus und der Massenabwanderung in den 90er Jahren große Teile ihrer Wohnungsbestände, gleiches Tat der Bund mit seinen, ehemals volkseigenen, Beständen in Ostdeutschland. (DIE LINKE: Plan für eine lebenswerte Zukunft in Ostdeutschland) Heute befindet sich ein Großteil der ostdeutschen Immobilien in Händen westdeutscher Investoren. Noch wird argumentiert, dass Mieten und Lebenshaltungskosten im Osten viel geringer wären, aber die darunter leidende Lebensqualität wird nicht thematisiert. Dabei prägen heute vor allem unbeendete Bauvorhaben, verlassene Einkaufszentren, Ruinen der flächendeckenden Industrialisierung und leerstehende Häuser das Bild vieler ostdeutscher Städte und Gemeinden. Schließlich zeigt sich im Gesamtbild, dass nur 5% der einkommensstärksten Deutschen heute in Ostdeutschland leben. (https://www.boeckler.de/de/auf-einen-blick-17945-die-okonomische-und-soziale-situation-ostdeutschlands17949.html , 4.12.2020 00:13 Uhr) Im nationalen Vergleich eröffnet sich also eine starke soziale Schieflage. Ostdeutschland hat augenscheinlich nach der Wende als neoliberales Testfeld fungiert. Als Linke ist es unsere Aufgabe den Ist-Zustand zu korrigieren und die spezifisch-ostdeutschen Herausforderungen in einen gesamtdeutschen Klassenkampf einzubetten.

  1. Schlussfolgerungen: Perspektiven des SDS in diesen Auseinandersetzungen
  1. a) Ostdeutsche Perspektive bezüglich der Bundestagswahlen 2021 Die oben ausgeführten Thesen zeigen uns auf, dass sich Ostdeutschland mit spezifischen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Problemen konfrontiert sieht. Als sozialistische Linke ist es unsere Aufgabe, diese nicht nur zu thematisieren, sondern an vergangen Kämpfe anzuknüpfen und sie fortzuführen. Dies sollte auch in unserer Kampagne zur Bundestagswahl 2021 Ausdruck finden. Spezifisch ostdeutsche Perspektiven im Wahlkampf könnte beispielsweise der Mobilitätsausbau im öffentlichen Nahverkehr sein, um dem Strukturwandel in ostdeutschen Regionen zu begegnen und gleichzeitig an die Klimabewegung sowie TVN-Kampagne 2020 anzuschließen. Eine weitere Perspektive bieten bereits stattfinde gewerkschaftliche Kämpfe bspw. der NGG im Osten. Ein konkretes mittelfristiges Ziel ist nicht nur die Angleichung der Löhne, sondern auch die Stärkung der gewerkschaftlichen Organisierung im Osten.
  1. b) Regionalverband Ostdeutschland Die Schieflage zwischen Ost und West zeigt sich auch in der SDS Bundesstruktur. So existieren im Osten deutlich weniger gut aufgestellte SDS-Gruppen als in Westdeutschland. Die Anbindung an die Bundesebene ist besonders schwach. Im Rahmen des politischen Projekts eines Regionalverbands Ostdeutschland zielen wir auf einen Aufbau ostdeutscher Hochschulgruppen, verstärkte Zusammenarbeit und gemeinsame politische Projekte ab. Dies geschieht in Anlehnung, jedoch eindeutig mit strukturell unterschiedlichen Herausforderungen, an existierende Landesverbände wie den SDS NRW.
  1. c) Wissen, Werkzeuge und Strukturen Der SDS greift mit der Frage nach Ostdeutschland kein vollkommen neues politisches Feld auf. Seit Jahren positionieren sich politische Akteur*innen um die Fragen nach Aufarbeitung, sozialen Ausgleich und Anerkennung der ostdeutschen Prekarisierung im gesamtdeutschen Kontext. #Unteilbar plant 2021 unter dem Label “solidarischer Osten” zu begleiten, “Aufbruch-Ost” ist seit ihrer Gründung präsent in den Fragen um Ostdeutsche Arbeitskämpfe. Als Sozialist*innen orientieren wir uns an diesen gesellschaftlichen Bewegungen, können sie an Hochschulen verankern und bestehende Forderungen wie den von der Linkspartei angestoßenen Treuhanduntersuchungsausschusses aufgreifen und weiterdenken. Unser Anspruch ist es in den kommenden Jahren Wissen, Werkzeuge und Strukturen aufzubauen, die uns regional ein koordiniertes Einwirken in ostdeutsche Auseinandersetzungen ermöglicht. Dazu gehört es unseres Erachtens nach, soziale Kämpfe aufzugreifen, antifaschistische und soziale Bewegungen zu stärken und sich mit gewerkschaftlichen Kämpfen zu solidarisieren.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

A23 Für den 4 Stunden-Tag oder die 20-Tage Woche

Der Bundeskongress mögen beschließen:

Die Forderung der 4-Stunden-Liga nach einem 4 Stunden-Arbeitstag bei vollem Lohn- und  Personalausgleich soll unterstützt und beworben werden. Ziel ist das Thema radikale Arbeitszeitverkürzung zum Gegenstand einer breit- und inhaltlich tiefangelegten gesellschaftspolitischen Kampagne zu machen. DieLinke.SDS nimmt sich dafür vor, in den Hochschulen, und insbesondere in den Wirtschaftswissenschaften, entsprechend um Inhalt der Forschung und Lehre zu streiten: Die Produktivität der Arbeit ist mittlerweile so hoch, dass eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich auf einen 4-Stunden-Arbeitstag oder eine 28-Stunden-Woche, wie sie die IGMetall fordert, längst möglich und so überfällig ist. In der Wissenschaft lassen sich dafür die gesellschaftlichen Verbesserungen für die Allermeisten und auch den Sozialstaat herausarbeiten: Ein solcher Reformschritt bedeutet Arbeitsplatzerhalt und -ausbau, humanisiert die Arbeit und weitet die demokratische Teilhabe aus. Die Löhne steigen relativ, wodurch auch die Nachfrage wächst und die stockende Konjunktur angekurbelt wird. Weil mehr Menschen in Arbeit gelangen, wird der Druck der Erwerbslosigkeit verringert. So verbessert sich die Grundlage für das Erstreiten höhere Löhne. Gleichzeitig wird damit mehr Gleichberechtigung für die unterschiedlichen Lebenslagen von Beschäftigten realisiert. Die „kurzen Vollzeit“ wirkt bei Alleinerziehende und diejenigen, die aufgrund von Reproduktionsarbeit nur Teilzeit arbeiten können, insbesondere Frauen, gegen die Altersarmut. Darüber hinaus ermöglicht Arbeitszeitverkürzung mehr Zeit und Energie für Bildung und gesellschaftspolitisches Engagement. Diese Erkenntnisse wollen wir gegen die Dominanz der Neoklassik in den Wirtschaftswissenschaften der Republik durch Go-Ins, Seminardiskussionen,Veranstaltungen, Arbeit in den akademischen und studentischen Gremien sowie weiteren Aktivitäten neu verbreiten. Der Kampf für die 35-Stunden-Woche in den 1980er-Jahren war die erfolgreichste gesellschaftliche Massenmobilisierungsaktivität der Gewerkschaften in jüngerer Vergangenheit. Daraus wollen wir für heute lernen!

Zudem sollen Möglichkeiten geschaffen werden, je nach Art der Beschäftigung und des Arbeitsverhältnisses den 4-Stunden-Tag in eine 20-Stunden-Woche mit flexibler Verteilung besagter 20 Stunden auf die 5 Arbeitstage umzuwandeln. Dies gesteht den Arbeitnehmer*innen zusätzlich zu der verkürzten Arbeitszeit mehr Flexibilität in der Gestaltung ihrer Wochenarbeitszeit zu. Die Entscheidung über die zusätzlich zu den regulären 4 gearbeiteten Tagesstunden sowie über die komplett freien Tage obliegt dabei in erster Linie den Arbeitnehmer*innen, falls vonnöten in enger und solidarischer Absprache mit Mitarbeiter*innen. Personal- & Betriebsräte sowie Gewerkschaften haben dafür zu sorgen, dass dieses Konzept nicht von Arbeitgeber*innen missbraucht wird.

A24. Sozialismus – Ja gerne, aber Planwirtschaft oder wie genau? Ich versteh dich nicht.

Der Bundeskongress möge beschließen:

Der Verband Die Linke.SDS ermöglicht ein Seminarwochenende, das sich, aus einer  kritischen Perspektive, mit ökonomischen Theorien verschiedenster Denkströmungen  auseinandersetzt und Perspektiven einer nach-kapitalistischen Ökonomie aufgreift. Unser Hauptaugenmerk liegt dabei bei der Frage, inwiefern Marktprozesse als planbar und damit steuerbar gedacht werden können. Das Seminar wird in Präsenz durchgeführt, ein Orgateam konstituiert sich, sobald die Pandemielage dies zulässt.

 

 

A25. Bluten ist kein Luxus

Der Bundeskongress möge beschließen:

Hygiene darf kein Privileg, sondern muss ein Grundrecht sein! Der eingeschränkte Zugang zu Menstruationsartikeln ist dennoch nach wie vor Teil der Diskriminierung aller Menstruierenden auf der ganzen Welt. Dass in Deutschland Tampons und Co. keine Billig-, sondern „Luxus“-Waren sind, zeigt die Luxussteuer („tampon tax“) von 19 Prozent. Trotz Steuersenkung von 19 auf 7 Prozent im letzten Jahr wurden die Preise von den Herstellern für Menstruationsartikel daraufhin erhöht. Die Ausgrenzung menstruierender Personen wird durch die „Period Poverty“ (Periodenarmut) deutlich: Betroffene können während ihrer Menstruation nur eingeschränkt oder gar nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Darüber hinaus ist das Thema Menstruation nicht selten mit Scham und Stigmatisierung verbunden und stellt eine psychische Belastung für Menstruierende dar. Als queer-feministischer Verband, der sich gegen Diskriminierung aller Art einsetzt, ist es unser Anliegen, allen Menstruierenden die Teilnahme an unseren Veranstaltungen zu  erleichtern bzw. zu ermöglichen. Es muss selbstverständlich sein, dass beim Einkaufen die Menstruationsprodukte mitgedacht werden. Schließlich sind auch diese ein Teil der Hygiene – wie Seife, Toilettenpapier und Co.

Aus diesem Grund:

  • Auf jeder bundesweiten Verbandsveranstaltung in Präsenz müssen, sofern keine vor handen, Menstruationsprodukte (Binden und/oder Tampons) auf allen Toiletten des Veranstaltungsortes verpflichtend bereitgestellt werden.
  • Die Landesverbände und Lokalgruppen werden angehalten, bei Veranstaltungen am Veranstaltungsort Menstruationsprodukte in den Toiletten sowie Orten für regelmäßige Präsenztreffen (zum Beispiel im Parteibüro) bereitzustellen.
  • Die Linke.SDS setzt sich für kostenlose Menstruationsprodukte sowie deren freien Zugang ein. Um für das Thema zu sensibilisieren, werden Lokalgruppen dazu angehalten, Aktionen (zum Beispiel an den Unis oder anderen öffentlichen Räumen) durchzuführen

A28. Vom MSB Spartakus lernen: Was bedeutet gewerkschaftlich orientierte Hochschulpolitik?

 Der Bundeskongress möge beschließen:

Unsere Tätigkeit an bzw. in den Hochschulen wird bis heute häufig unter dem Schlagwort “Gewerkschaftliche Orientierung” diskutiert. Dabei wird sich maßgeblich auf den entsprechenden Schlüsseltext des Marxistischen Studentenbundes Spartakus bezogen, der diesen strategischen Ansatz in den 1970er Jahren zusammen mit dem Sozialistischen Hochschulbund entwickelte. Wir können feststellen, das zwischen 2014 und heute das Verständnis was gewerkschaftlich orientierte Hochschulpolitik konkret bedeutet langsam in Vergessenheit gerät. Der SDS arbeitet mit Gewerkschaften zusammen, aber das meint das Konzept der GO-Politik nur zum Teil. Gewerkschaftliche Orientierung ist ein Organisationsprinzip. Diese Ansicht müssen wir revitalisieren. Zudem gibt es auch nach über 40 Jahren in den maßgeblichen Papieren noch immer wichtige Einsichten zu entdecken, welche unser hochschulpolitisches Wirken sinnvoll strukturieren können. Dabei ist es unerlässlich angesichts der veränderten Klassenverhältnissen und (politischen) Rahmenbedingungen die Politik der gewerkschaftlichen Orientierung und ihre Prämissen auf den Prüfstand zu stellen. Die Praxis in der völlig neoliberal überformten Hochschule muss notwendig eine andere sein. Diese Aktualisierung darf aber nicht geschehen, ohne dabei in eine ultralinke Haltung zu verfallen, laut derer die Studierendenschaft als Teil der künftigen Elite der Arbeiter*innenklasse lediglich im Wege des Klassenverrats ihr im Kampf beistehen kann. Was es indes bedeutet, selber teil der Arbeiter*innenklasse zu sein, wollen wir versuchen herauszustellen. Dementsprechend haben wir eine Reihe sich ergebener Thesen und Fragen für die verbandsinterne Debatte formuliert:

  1. Die Studierenden, als auch ihre Vertretungsorgane (VS) sind überwiegend linksliberal eingestellt. Die Grünen Hochschulgruppen sind dessen adäquater politischer Ausdruck.
  2. Studierende sind großteils nicht mehr notwendig zukünftiger Teil der herrschenden Intelligenz, sondern sie werden vielmehr in großen Teilen akademisierter Arm der Arbeiter*innenklasse sein. Zugleich stehen sie dieser kulturell und bewusstseinsmäßig weitestgehend fern. Dieses widersprüchliche Verhältnis drückt sich im Begriff der Wissensarbeiter*innen aus. Sind sie im Wissenschaftsbereich tätig, so werden sie zu Wissenschaftsknechten, die ihrer professoralen Herren hörig zu sein haben.
  3. Die Gewerkschaften organisieren sich anhand des sozialen Interesses ihrer Mitglieder. Sie sind, aus ihrer Historie heraus, sozialkooperatistisch in der Politik und in der affirmativen Selbstbezüglichkeit ihres Funktionärswesens gefangen, weshalb wir ihre Form begrüßen, aber ihre Arbeitsweise kritisieren müssen.
  4. Wenn die Studierendenschaft ihrem Wesen nach Teil der Arbeiterklasse ist, dann ist es auch notwendig, dass sich die Wissensarbeiter*innen so früh wie möglich in den Praxen der gewerkschaftlichen Organisation üben, um anhand der Wahrnehmung der eigenen Interessen politische Selbstorganisation zu erlernen.
  5. Die Studierendenschaft ist einer funktionalen Spaltung ausgesetzt. Diese trennt sie in diejenige, die von Prekarität bedroht sind (Wissensarbeiter*innen), sowie in den Teil der zur Stabilisierung und Legitimierung des Kapitalismus und seiner Ideologien Herrschaft ausübt. letzt genannte Funktionen sind bspw. die des Richters, aber auch die des Journalisten, welche aber beide in jeweils anderen Verhältnissen zur Herrschaft beitragen.
  6. Wissenschaft war ursprünglich ein bürgerliches Unternehmen, weshalb sie immer noch das Bürgertum weiter reproduziert. Jedoch diente sie ebenso zur Emanzipation desselben von der feudalen Klassenherrschaft. Sie enthält also auch notwendig die Kritik des Bürgertums, wenn dieses herrschend geworden ist. Insofern kann und muss sie heute gegen diese Gesellschaft der Ausbeutung gewendet werden. Sie ist stets ein parteiliches Unternehmen. Daher dürfen wir die Parteinahme durch Parteilosigkeit (sogenannte Neutralität) auch in den Wissenschaften nicht hinnehmen, sondern müssen diese als Dienst an den Ausbeutungsverhältnissen bloßlegen und zugleich Wissenschaft wieder zu dem machen, zu welchem Zweck sie einst entstand: als ein Werkzeug zur Emanzipation von Unterdrückung, also Demokratie.
  7. Teil einer wissenschaftlichen Weltanschauung, ist nicht nur die Demokratie, sondern auch der Blick für globale Verhältnisse. Die Grenzen überschreitenden Kooperationen, die Hochschulen pflegen, vermitteln ein Bewusstsein für die Notwendigkeit kooperativen Handelns. Friedliches Miteinander und die Beendigung der Ausbeutung des Menschen, durch den Menschen, können als Grundlage für den wissenschaftlichen Sozialismus begriffen werden, der Heute, mehr denn je, eine politische Notwendigkeit. Darstellt.
  8. Die Technifizierung der Studiengänge unter das Kriterium der Modularisierung, Anerkennungsfähigkeit und Kompetenzorientierung, verwandelt, insbesondere in den technisch-naturwissenschaftlichen Fächern, das Ausbildungsinteresse in ein formalen Gradmesser der didaktischen Güte einer Veranstaltung und blendet den wahren Zweck, menschliches sein, aus. Das Studium nimmt also die Form einer Ware an. Entsprechend verwandelt sich das aktive Studieren mit der Zeit in einen passiven Konsumtionsakt. Wo sich nicht aktiv beteiligt wird, sondern nur Dargereichtes verzehrt, entsteht auch kein Wille zur eigenständigen Veränderung der Studieninhalte und Umstände. Studieren wird im 21. Jhd. zunehmend zu etwas außerhalb von mir stattfindendes. Der Student studiert also nicht mehr, sondern erwirbt nur noch eine Studienbescheinigung.
  9. Trotz einer Vermassung der Hochschulen haben wir die Massenbasis an politisch organisierten Studierenden verloren. Es besteht jedoch ein massenhaftes Interesse an sog. Serviceleistungen (Semesterticket, Studiwerke etc.), über die wir jedoch langsam aber sicher die Verfügungs- und Kontrollgewalt verlieren.

10.Fachschaften bilden die Basisgruppen der VS. Sie bilden damit das Institutionelle Gerüst an den Hochschulen, wie es die Betriebsräte innerhalb der Unternehmen tun. Eine Organisation anhand seiner konkreten und individuellen Interessen an der Hochschule ist daher innerhalb der Fachschaften zu finden.

11.Wir kämpfen heute zunehmend mit defensiven Strategien. Um das Blatt zu wenden ist es aber notwendig wieder in die Offensive überzugehen. Dafür müssen wir zuerst unsere Methoden auf der taktischen Ebene verändern. Vollversammlungen, Diskussionen in Seminaren oder andere Interventionsstrategien sind uns bekannt. Raus aus organisatorischem Pessimismus der Hochschulpolitik, aus dem nur Lethargie und Desinteresse folgen können, in ein Optimismus der Massenorganisation, in massenhaft überfüllten Seminaren.

Auf Grundlage dieser 12 Thesen fordern wir den Verband, seine Strukturen und Mitglieder auf, über unsere hochschulpolitischen Strategien nachzudenken.

A30. Kein Platz für die unternehmerische Hochschule! Solidarität mit der Petition der „Initiative Geistes- und Sozialwissenschaften“ gegen die neoliberale Hochschulnovelle in Bayern

Der Bundeskongress möge beschließen:

Wir erklären uns solidarisch mit der Initiative Geistes- und Sozialwissenschaften in Bayern, welche sich gegen die geplante Hochschulnovelle stellt. Dazu stellen wir uns hinter folgende Petition: https://www.openpetition.de/petition/online/fuer-den-erhalt-und-die-staerkung dergeistes-und-sozialwissenschaften-in-bayern

Statt eine weitere Neoliberalisierung und Entdemokratisierung der Hochschulen  hinzunehmen, fordern wir die Einführung einer Verfassten Studierendenschaft mit  politischem Mandat und vollen Rechten. Zudem fordern wir eine bayernweite Einführung einer Zivilklausel. Dafür brauchen wir eine weitere Vernetzung mit gewerkschaftlichen und progressiven hochschulpolitischen Akteur*innen, um diese Forderungen anzugehen.

A31. 2021 Jahr der Klimawahl – aber richtig

Der Bundeskongress möge beschließen:

  • Die Linke.SDS fordert die LINKE im Wahljahr 2021 auf, offensiv und glaubhaft für sozial – und ökologisch gerechten Klimaschutz einzutreten und keine faulen Kompromisse einzugehen, um sich die Möglichkeit einer Regierungsbeteiligung offenzuhalten.
  • Alle Ortsgruppen werden aktiv dazu angeregt, für das Thema Klimagerechtigkeit im Wahlkampf vor Ort einzutreten und somit Klimaaktivist*innen eine Organisierungsperspektive zu bieten.
  • Der BuVo wird dazu aufgefordert in enger Zusammenarbeit mit dem BAK Klimagerechtigkeit und der Wahlkampfstelle, das Thema Klimagerechtigkeit innerhalb der Wahlkampfkampagne des SDS mitzudenken und somit einen ökosozialistischen Weg zu stärken.
  • Dem BAK Klimagerechtigkeit wird ermöglich in Zusammenarbeit mit der Partei im Frühsommer ein Wochenende zum Thema Ökosozialismus zu veranstalten. Für Anreise-, Referent*innen-, und Übernachtungskosten wird dem BAK dafür ein zusätzliches Budget, was der BAK in Zusammenarbeit mit dem BuVo vereinbart, zur Verfügung gestellt.